Der Sommer auf Usedom
hatte keine Lust, darüber zu diskutieren. Sie wusste, warum viele Künstler unter einem Pseudonym arbeiteten, und konnte das vollkommen nachvollziehen, aber sie wusste auch, dass nicht wenige Leute dafür kein Verständnis hatten.
»Stimmt, viel interessanter ist, dass dieser Moroni eine Skulptur in dem kleinen Geschäft in der Seestraße ausstellen wird, in dem sich neulich der Kunstdieb so lange herumgetrieben hat«, nahm Gabi den Faden wieder auf.
»Der vermeintliche Kunstdieb«, korrigierte Jasmin.
Die beiden tauschten einen langen Blick.
»Es ist doch wohl klar, was das bedeutet«, fuhr Gabi unbeirrt fort. »Er ist nicht nur ein vermeintlicher, sondern ein überaus aktiver Gangster. Jetzt kommst du nicht mehr drum herum, zur Polizei zu gehen.«
»Nun mal langsam. Es gibt keine Beweise, die ihn belasten.Dass er neulich in dem Atelier war, besagt noch gar nichts, das waren viele andere auch«, gab Jasmin zu bedenken. Gabi hatte ja recht, und sie selbst hatte ihn am Anfang für verdächtig gehalten, aber jetzt war sie da eben nicht mehr so sicher. Sie wollte sich auf das Wiedersehen freuen ohne Wenn und Aber.
»Du verteidigst ihn, als wärst du plötzlich von seiner Unschuld überzeugt, dabei warst du diejenige, die ihn verdächtigt hat.« Gabi, die gerade eine Schale mit Knabberzeug zurechtmachte, hielt in der Bewegung inne und sah ihre Freundin prüfend an. »Was machst du denn für ein Gesicht?«
»Ich habe ihn schon wieder getroffen.« Wieder tauschten sie einen langen Blick, noch durchdringender und vor allem vielsagender dieses Mal. »Er hat sich im Historisch-Technischen Museum umgesehen.«
»Wollen die etwa auch Bomben klauen?« Gabi war entgeistert.
»Nein, du weißt doch, da war diese Ausstellung über Landschaftsmalerei aus Nowosibirsk. Hast du nicht in deinem täglichen Blättchen davon gelesen?«
»Hat mich nicht sehr interessiert, aber ich erinnere mich.« Sie legte nachdenklich die Stirn in Falten.
»Du hast auch nichts verpasst, wenn du sie dir nicht ansiehst.«
»Da bin ich aber froh.« Gabi verzog spöttisch den Mund. »Habt ihr miteinander gesprochen?«, wollte sie wissen, und Jasmin erzählte ihr alles von der Begegnung. Von seiner Einladung zu Kaffee und Kuchen angefangen bis zu dem Sprint über die Freifläche zu dem Mann im Gras.
»Das ist kein Zufall«, stellte Gabi fest, nachdem sie aufmerksam zugehört hatte. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ist hinter dir her oder hinter kostbaren Dingen.«
»Danke schön, sehr charmant! Bin ich etwa nicht kostbar?« Jasmin zog eine Grimasse.
»Doch, du bist aber kein Ding.«
»Das will ich meinen.« Sie lächelte unsicher. Wie sollte sie Gabi bloß beibringen, dass sie eine Verabredung mit dem namenlosen Dieter hatte? Nicht, dass sie Geheimnisse voreinanderhätten, aber Jasmin hatte einfach Angst, dass Gabi ihr in diesem speziellen Fall raten würde, das Rendezvous platzen zu lassen.
»Du hast doch etwas auf dem Herzen. Raus mit der Sprache! Was verschweigst du mir?« Als Jasmin nicht sofort antwortete, setzte Gabi ein breites Grinsen auf. »Hast du ihn hinter den russischen Landschaften vernascht?«
»Sehr witzig! Nein, es hat sich nicht ergeben.« Sie verzog den Mund. Dann rückte sie mit der Sprache heraus: »Wir treffen uns morgen in Ahlbeck.«
Gabi bekam große Augen. »Ach! Na, das ist eine Überraschung. Dann wollen wir mal sehr hoffen, dass er nur hinter dir und nicht hinter irgendwelchen Kunstobjekten her ist.« Wieder grinste sie, dieses Mal weniger frech, dafür sehr liebevoll. »Ich wünsche dir viel Spaß. Aber versprich mir, vorsichtig zu sein, ja?« Im nächsten Moment setzte sie eine angespannte Miene auf und sah zur Uhr. »Gleich sieben Uhr schon«, murmelte sie. »Wo habe ich bloß meine Brille gelassen?« Jasmin zeigte wortlos auf ihren Kopf. Gabi fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, mit der anderen fing sie ihre Brille auf, der sie einen Stoß gegeben hatte. »Danke.«
»Mir scheint, du hast auch eine Verabredung. Ich wollte vorhin schon fragen, warum du dich so hübsch angezogen hast.« Jasmin erhob sich stöhnend vom Sofa. Urlaub konnte wirklich ziemlich anstrengend sein.
»Monsieur Fromage kommt gleich«, rief Gabi aus der Loggia. Kurz darauf war sie mit einem Stapel Papier wieder da. »Tut mir wirklich leid, das ließ sich nicht vermeiden.«
»Kein Problem!«
»Ich wollte keine beruflichen Abendtermine machen, solange du hier bist. Aber dieser Mensch hat vorgeschlagen, dass wir heute
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