Der Sommer auf Usedom
er legt das Buch seinen Gästen immer ans Herz. Ich dachte, ich kann ein bisschen Eindruck schinden, wenn ich es erwähne, weil Sie doch so auf Kunst und Kultur stehen.«
»Das gibt einen Punkt für Ehrlichkeit«, sagte sie lachend. Dann sah sie ihn übertrieben leidend an. »Richtig Eindruck schinden können Sie, wenn Sie mir die Apotheke zeigen. Offen gestanden bin ich nicht scharf darauf, den Arbeitsplatz des altenDichtervaters zu sehen. Aber ich habe die Hoffnung, dass es dort Blasenpflaster gibt.«
»So schlimm?« Sie nickte. »Wir finden schon etwas«, munterte er sie auf. »Wollen Sie sich einhaken?«
»Nein, danke, noch kann ich alleine laufen.« Weit musste sie glücklicherweise nicht mehr humpeln.
»Am besten gehen wir hinüber an den Strand«, schlug er vor. »Sie können Ihre Füße im Wasser abspülen. Das wird zwar etwas brennen, dafür sind die offenen Stellen dann aber sauber, bevor das Pflaster darauf kommt.«
»Gute Idee.« Es brannte höllisch, als sie ihre geplagten Füße in die Wellen der Ostsee tauchte. Zu allem Überfluss fiel ihr ein, dass sie einmal gelesen hatte, man solle nicht mit offenen Wunden im Meer baden, weil die Infektionsgefahr nicht unerheblich sei. Na toll, wahrscheinlich entzündeten sich die Stellen, und sie konnte in den nächsten Tagen keine Schuhe mehr anziehen. Jasmin verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich lieber auf Dieters Nähe. Er hielt sie fest, während sie auf einem Bein balancierte und dann, nachdem sie ihre gemarterten Fersen gesäubert hatte, auf Zehenspitzen zurück zur Promenade tippelte. Dort angekommen, führte er sie zu einer Bank, holte eine Packung Taschentücher hervor und tupfte behutsam ihre Füße trocken.
»Geht es?« Er sah sie mitleidig an.
»Ja, danke, Sie machen das toll.« Er lächelte und klebte auf jede ihrer Fersen ein Pflaster.
»Die Promenade ist übrigens vor ungefähr zwei Jahren komplett fertiggestellt worden. Man kann jetzt von hier bis nach Bansin laufen, ohne einmal abbiegen zu müssen. Das sind ungefähr zwölf Kilometer.« Sie sah ihn ängstlich aus großen Augen an. »Keine Sorge!« Er lachte. »Ich habe unsere Abmachung nicht vergessen. Zurück wird gefahren.«
»Danke, das rechne ich Ihnen wirklich hoch an.« Sie zog ihre Sandalen wieder an und stand auf. Nach ein paar vorsichtigen Schritten stellte sie fest: »Herrlich, ich bin gerettet.«
»Ich denke, um eine Planänderung komme ich trotzdem nichtherum. Eigentlich wollte ich Ihnen nämlich die Engelsburg zeigen. Es gibt da eine Dauerausstellung mit Glas und auch sehr schönen Bernsteinschmuck. Das hätte Sie bestimmt interessiert. Aber bis zur Burg ist es von hier noch ein ordentliches Stück zu laufen.«
»Schade, das hört sich wirklich gut an. Tut mir leid, dass ich Ihre Pläne durchkreuze.«
»Es ist wirklich schade. Ich bin sicher, es hätte Ihnen gefallen. Die Ausstellungen sind in den Gewölben. Das ist eine tolle Atmosphäre. Und ich hätte Sie sehr gerne in das Café dort eingeladen. Macht nichts, lassen wir uns eben wieder zurückbringen.« Jasmin ärgerte sich, dass Sie sich für das falsche Schuhwerk entschieden hatte. Glücklicherweise schien Dieter flexibel zu sein und sich über die Programmänderung nicht zu ärgern.
Sie bummelten ein Stück auf dem neu angelegten Weg entlang, der stellenweise durch einen breiten Waldstreifen vom Meer getrennt war, bis zu einem kleinen Kiosk, vor dem zwei Fahrradrikschas standen.
»Darf ich bitten?« Dieter deutete auf die mit rotem Kunstleder bezogene Sitzbank und reichte ihr galant den Arm. Jasmin kletterte in das ungewöhnliche Gefährt. Der Fahrer tat ihr jetzt schon leid, andererseits gab es in der Gegend keine nennenswerten Steigungen. Und das Fahrrad schien technisch auf der Höhe zu sein, er würde also schon zurechtkommen. Sie hatte keine Lust, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, entschied sie, während Dieter mit einem jungen Mann in kurzer enganliegender Hose und einem orange-türkisen ärmellosen Hemd über den Preis verhandelte.
»Alles klar? Kann’s losgehen?«, fragte er sie, nachdem er ebenfalls eingestiegen war.
»Gerne!« Sie saßen dicht nebeneinander, sie spürte sein Bein durch den dünnen Stoff ihres Kleides an ihrem. Auch ihre Arme und Schultern berührten sich. Ein gutes Gefühl. In gemächlichem Tempo ging es vorbei an Familien mit fröhlich hüpfenden Kindern, an alten Herrschaften, die auf den Bänken ausruhten,und an Pärchen, die verliebt den Sommer genossen. Jasmin fühlte
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