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Der Sommer deines Todes

Der Sommer deines Todes

Titel: Der Sommer deines Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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stehen!»
    Der Mann hört nicht auf sie. Ben fasst sich ein Herz und rennt weg.
    «Ben, dorthin!» Mary zeigt auf die Kreuzung ein Stück die unbefestigte Straße hinunter. Vielleicht hält jemand an, um nach dem weinenden Jungen zu sehen, und holt Hilfe.
    Stattdessen krabbelt Ben in den Lieferwagen und schmiegt sich an Fremont und Dathi, die versuchen, ihn mit einer Umarmung zu trösten.
    Der Fremde, jetzt nur noch eine Armeslänge von Mary entfernt, zielt mit der Waffe auf sie und wiederholt: «Avanti, sul furgone!» Grob fasst er Marys Ellbogen und schiebt sie ungeduldig vorwärts. Auf einmal verspürt sie so etwas wie Erleichterung, denn eine Sache steht außer Frage: Die Kinder wird sie unter gar keinen Umständen im Stich lassen.

Kapitel 7
    M r. MacLeary?» Eine junge Frau in einem todschicken schwarzen Kostüm lächelt und streckt eine Hand aus, ohne sich vorzustellen. «Würden Sie mir bitte folgen?»
    Sie gehen an kunstvoll angeordneten Bäumen in Töpfen vorbei, die ihn deutlich überragen. In dieser exorbitant großen Lobby fühlt sich Mac wie ein Zwerg, und während er sie durchquert, begreift er, was sie so besonders macht: die schiere Kühnheit, die es braucht, solch einen überdimensionierten Raum überhaupt zu erschaffen. Damit das weitläufige Foyer bei Besuchern keine existenzielle Krise auslöst, wurde es mit einigen Objekten von menschlicheren Dimensionen bestückt: den Bäumen, bunten Designersesseln, einem türkisfarbenen, von der Decke abgehängten Netz, das eine leicht ironische Verneigung vor der Schwerkraft andeutet.
    Banker haben kein Problem damit, ihr Ego auszustellen, denkt er, während er der Frau durch diese modernistische Savanne zu den Fahrstühlen folgt.
    Wieder einmal fällt ihm auf, wie abstrakt die Welt der Finanzen im Grunde ist. Und egal, wie kreativ und offen es auf der Direktionsebene zugehen mag, legen Banken eine schonungslose Härte an den Tag, sobald der normale Bürger seine Raten nicht tilgen kann. Er denkt an die Occupy-Bewegung, die zum ersten Mal auf der Wall Street in Erscheinung getreten ist und sich über die ganze Welt ausgebreitet hat. Er bemüht sich, die aufsteigenden Ressentiments auszublenden. Schließlich ist er wegen eines Jobs hier, und keiner hat ihn gezwungen, für diese Leute zu arbeiten. Als er mit seiner Begleiterin und ihren nicht minder schnieken Kollegen den Fahrstuhl verlässt, fragt er sich dennoch, ob es nicht an dieser frappierenden Diskrepanz zwischen Arm und Reich, an den neunundneunzig und dem einen Prozent liegt, dass Amerika nun eine knallharte Debatte über seine kapitalistische Seele führt und die Europäische Union strauchelt. Ist dieses Missverhältnis womöglich auch einer der Gründe, weshalb man ihn hierherbestellt hat? Sind die Mächtigen ernsthaft daran interessiert, die Korruption zu bekämpfen? Übernehmen sie tatsächlich Verantwortung und überprüfen ihr Tun auf Fehler?
    Mein Gott, was bin ich naiv, denkt er und muss sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Und dann ahnt er plötzlich, worum es gehen könnte:
Spionage
. Sein Job hat nichts mit Ermittlungen seitens der Polizei oder einer anderen Behörde zu tun, mit denen Mac von Berufs wegen durchaus vertraut ist. Hier geht es nicht um bodenständige Nachforschungen, die Augenmaß und persönlichen Einsatz erfordern. Ist die Information, die man so dringend benötigt, nur schwer zu beschaffen, verlegt man sich eben auf unorthodoxe Maßnahmen. Das kennt er von Quest, wo er eine Zeitlang im Bereich Corporate Security gearbeitet hat.
    «Hier entlang», sagt die junge Frau bestimmt, aber freundlich, während sie ihn durch einen breiten Flur in der dreißigsten Etage führt. An den Wänden hängen Gemälde, die man sonst nur in Museen findet und bei deren Anblick ihm fast die Kinnlade herunterfällt. Seine Begleiterin öffnet eine Glastür in einer Glaswand und bittet ihn einzutreten.
    «Mr. Gelson wird gleich bei Ihnen sein. Es macht Ihnen doch hoffentlich nichts aus, kurz zu warten?»
    «Keineswegs.»
    Kaum hat sie sich verabschiedet, kann er sich schon nicht mehr an ihr Gesicht erinnern, was ihn befremdet. Er fragt sich, ob der kühle Modernismus dieses Gebäudes verhindert, dass man sich auch nur das kleinste Detail einprägt. Ein faszinierender, allerdings nahezu unmenschlicher Ansatz, einen Arbeitsplatz zu gestalten, denkt er. Effizient. Buchstäblich transparent. Antiseptisch.
    Die Atmosphäre in diesem Glaskubus hat etwas Schwereloses. Die perfekt kalibrierte

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