Der Sommer der Gaukler
einem verbrecherischen Richter zum Tode verurteilt und –«
»Von einem verbrecherischen Richter...«, stöhnte Ratold. »Und in die Donau geworfen. Sie werden selbst sehen: Es ist der ergreifende Höhepunkt des –«
»Und – dieser Richter? Was geschieht mit ihm?«
»Was denken Sie?« Schikaneder zuckte die Schultern. »Ihm wird natürlich Gerechtigkeit widerfahren.«
»Ich ahne Entsetzliches – wie?!«
»Er wird – äh – hingerichtet.«
»Ein Richter – hingerichtet!«, hauchte Ratold. Er schüttelte entgeistert den Kopf. »Das – das geht doch nicht!«
»Das ist doch noch nie gegangen«, sekundierte Kolber. Schikaneder stemmte seine Arme in die Hüften und sah streng auf die beiden herab.
»Wie! Das Stück ist bereits bei Hofe aufgeführt worden. Sollten Geschmack und Urteil Seiner kurfürstlichen Durchlaucht etwa in Zweifel gezogen werden?«
Ratold war zusammengezuckt.
»Natürlich nicht!«, beteuerte er. Er senkte die Stimme und beugte sich zu Schikaneder. »Aber... könnte man nicht dieses Ende des Stücks etwas, sagen wir, modifizieren ?«
»Pardon, Euer Gnaden. Ich verstehe nicht.«
Kolber wies mit dem Daumen auf den Richter.
»Der Herr Richter meint, ob es nicht dieser Richter sein könnt, wo der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft. So, wie wirs bei uns halt gewohnt sind, netwahr, Euer Gnaden?«Ratold winkte unwirsch ab. Der Prinzipal betrachtete ihn nachdenklich.
»Hm....« Er verschränkte die Arme vor der Brust und knetete sein Kinn. »Euer Gnaden meinen, dass ein anderer den Verbrecher gibt?«
»Jaa! Bloß kein Richter net!« Kolber nickte eifrig. »Netwahr, Euer Gnaden?«
Der Richter hing erwartungsvoll an Schikaneders Lippen. Dieser spielte den Einlenkenden: »Hm... Ernst oder... Albrecht vielleicht?«
»Ja!«, krähte der Kolber. »Ist doch wurscht, wies heißen!«
Schikaneder warf sich jäh in Pose und rief empört: »Man verlangt von mir nicht nur, eine seit Jahrhunderten im Volke bekannte Historie zu modifizieren , sondern auch noch, dass ich Angehörige des bairischen Herrscherhauses zu Verbrechern machen soll?!«
Der Richter schrumpfte unter dem flammenden Blick des Prinzipals.
»Natürlich nicht«, stammelte er. Verstohlen deutete er auf Kolber.
»Der – eh – Vorschlag kam übrigens von ihm.«
»Waas?«, brauste der Wirt auf. »Von – von – ?«
»Ja!«, keifte Ratold entrüstet. »Wie kann Er es wagen, das bairische Herrscherhaus –«
»Meine Herren, meine Herren!« Schikaneder hob beschwichtigend die Hände und strahlte die beiden Männer an. »Ihre Eschoffasch’ ist völlig grundlos. Es handelt sich, meine Herren, um ein Stück aus fernster Geschichte! Ein Theaterstück! Es ist Kunst, meine Herren! Sie führt uns himmelnah, hoch über allen niedrigen Alltage, empor in eine Welt«, er zeigte ehrfürchtig nach oben, »in der allein die Gottheit der Poesie waltet!« Einer Entgegnung zuvorkommend, fuhr er mit warmer Stimme fort: »Seien Euer Gnaden vergewissert – und auch Sie, lieber Herr Wirt – mag das Publikum sich auch zerschmettert zeigen, mag es bittere Tränen vergießen über das Schicksal der armen,unschuldigen Jungfrau, mag es die Taten des Ruchlosen verdammen – am Ende wird die erlösende Erkenntnis stehen, wie unendlich gerecht die moderne Gerichtsbarkeit – vertreten durch Euer Gnaden – wirkt.«
Ratolds Lider zwinkerten nervös. Schließlich lächelte er schief. Kleinlaut sagte er: »Und – Sie sagen, das Stück sei bei Hofe bereits gegeben worden? Es – es hat den Beifall Seiner Durchlaucht gefunden?«
Schikaneders Augen funkelten vor unterdrücktem Stolz. »Mehr als das. Seine Durchlaucht war diesem Stück geradezu geneigt .«
Der Richter presste die Lippen zusammen. Sein Blick irrlichterte über Schikaneders zuversichtliches Lächeln. Er räusperte sich.
»Dann... von mir aus!«, sagte er heiser. »Tun Sie, was Sie für richtig halten!«
»Aber –«, begann der Wirt.
»Ach, halt Er den Mund!«, fuhr ihn Ratold an. »Seinetwegen gerate ich auch noch in schändlichsten Verdacht! Kümmere Er sich ordentlich um Seine Dienstleute, dann hauen sie Ihm auch nicht ab, ja? Und schiebe Er vor allem nicht die Schuld auf«, er suchte Schikaneders Blick, »ehrbare Künstler!«
30
S eit Paccoli sein Reichenhaller Palais bezogen hatte, gähnte ihn die Wand des großen Salons an. Mit den verstaubten Trophäen, die er vom Vorbesitzer übernommen hatte – ein paar mickrige Hirschgeweihe, eine Reihe Gams- und Rehkrückerl und ein abgemausertes
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