Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
irgendetwas in Jason zur Explosion. Vielleicht lag es am Kopfschmerz, der noch von der Reise herrührte, vielleicht war es aber auch das dämmernde Bewusstsein, dass er in eine Position gedrängt wurde, in der er Verantwortung übernehmen musste. Oder lag es an der Tatsache, dass in diesem Augenblick eine Armada von Dorfbewohnern sein Haus heimsuchte, weil diese Menschen nichts anderes zu tun wussten, als sein Leben zu begaffen? Nun, vielleicht war es die Tatsache, dass Johnston zuerst das Ale verwässert und ihn dann mutwillig ignoriert hatte. Und dabei hatte er doch nur die Figur von dessen Frau bewundert – was vermutlich seit mindestens einem Jahrzehnt nicht mehr geschehen war. Vielleicht war es aber auch einfach nur der Fremde, der ihn mit Leichtigkeit abgeschrieben hatte.
Aber in diesem Moment wollte Jason sich wirklich prügeln.
Was neu war, denn Jason hatte sich noch nie geprügelt. Noch nicht einmal Boxunterricht hatte er genommen, da er die saubere Distanz eines guten Fechtkampfes vorzog. Aber jetzt hatten seine Hände sich plötzlich zu Fäusten mit weißen Knöcheln geballt, den Kopf hatte er eingezogen, in seinen Augen glitzerte es mörderisch.
»Du … du verfluchter Krüppel «, spie Jason aus. »Wie kannst du es wagen, mich zu verspotten?«
Der Fremde drehte sich erneut um. »Für jemanden, der beinahe vierundzwanzig ist, fehlt es Ihnen offensichtlich an der nötigen Lebenserfahrung, um die Alkoholmenge zu verkraften, die Sie zu sich genommen haben«, entgegnete er mit kalter Stimme. »Gehen Sie nach Hause, Sir, und werden Sie erwachsen.«
Grellrote Wut raubte Jason die Sicht. Er wusste, dass seine Füße sich bewegten, dass seine Schultern sich zusammengezogen hatten und bereit waren, seinen Gegner zu rammen, mochte der nun verkrüppelt sein oder nicht.
Später würde er sich an die überraschend schnelle Bewegung erinnern, mit der der Mann zur Seite auswich.
Und auch daran, dass der Mann anschließend direkt vor der Kutsche gestanden hatte.
Und dann an den Aufprall und das weiße Licht, als sein Kopf gegen die Kutschentür prallte.
Glücklicherweise war das dann aber auch alles, woran er sich erinnern konnte.
»Gut gemacht, Sir, wenn das Kompliment erlaubt ist.«
Byrne Worth seufzte tief, während er den Blick leidenschaftslos über den jungen Dummkopf schweifen ließ, der ohne zu überlegen und planlos auf ihn losgestürmt war. »Danke, Dobbs«, erwiderte er und schaute zum Kutschbock hinauf. »Was meinen Sie, können wir uns jetzt davonmachen?«
»Oh, kommen Sie, Sir. Nun sagen Sie nicht, dass Sie ihn hier liegen lassen wollen. Im Dreck.«
Byrne schenkte seinem Kammerdiener, Kutscher, Koch und Leibwächter ein halbes Grinsen, was nur sehr selten geschah. »Aber genau da ist er gelandet.«
Und das zum Glück mit dem Gesicht nach oben, denn Byrne wusste nicht, ob er es geschafft hätte, ihn umzudrehen. Nach seiner Beinverletzung, die er sich vor über einem Jahr zugezogen hatte, war es ihm inzwischen zwar möglich, sich mithilfe seines Gehstocks recht gut fortzubewegen, aber mehr als das schaffte er nur mit großer Mühe.
»Mr Worth, Sie sollten sich wenigstens überzeugen, dass der Bursche noch atmet«, mahnte Dobbs sehr bestimmt.
»Wann haben Sie sich denn zum Menschenfreund gewandelt?«, erkundigte sich Byrne.
»Seit Mord mit Erhängen geahndet wird«, entgegnete Dobbs und brach über seinen eigenen Witz in Lachen aus.
»Sie haben doch gesehen, dass er mich angegriffen hat. Kein Gericht in dieser Grafschaft würde mich verurteilen«, stellte Byrne klar, beugte sich aber trotzdem so tief er es vermochte über den Burschen, um seine Atmung zu überprüfen. Verdammt noch mal, sein Bein schmerzte heute wirklich sehr. Mit Bedauern dachte er an seinen Versuch zurück, heute Morgen auszureiten – aber er hatte die frische Luft gebraucht, die Ablenkung.
Dobbs war natürlich sehr viel flinker. Mit der Eleganz eines Eichhörnchens sprang er vom Kutschbock. Es platschte, als er im Matsch aufkam, der in alle Richtungen flog – größtenteils auf Byrnes Hose.
Jeder andere Gentleman hätte jetzt einige klare Worte an Dobbs gerichtet. Aber die Tatsache, dass der Kutscher kein Wort sagte und seinem Herrn auch nicht die Hand bot, als der sich mühsam wieder aufrichtete, trug ihm dessen Nachsicht ein. Dobbs kannte den Stolz und die Entschlossenheit seines Herrn.
»Er atmet«, verkündete Byrne. »Genauer gesagt schnarcht er sogar.«
Dobbs kniete sich hin, um den Mann zu untersuchen. Er
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