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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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und die Gewissheit zurückgewonnen, dass sich das Leben in dieser Weise gestalten werde und nicht in jener. Sie nahm ein Kleid zur Hand, das sie völlig vergessen hatte, ihr war es schon zu kurz, aber sie konnte es Maria Inês geben. Und die Schuhe, die zu klein waren. Irgendwo im Haus ließ der Wind ein Fenster schlagen. Dann fand Clarice das neue weiße Kleid, das sie nicht trug, weil sie meinte, es stehe ihr nicht. Das konnte Maria Inês ebenfalls behalten und tragen, wenn sie groß war.
    Maria Inês trug es, als sie groß war. Und übte darin vor dem Spiegel Ballettschritte. Und wurde von einem jungen Mann aus dem Nachbargebäude dabei beobachtet.
    Ein Mädchen, das die Erinnerung stets in jugendliches Weiß kleidete.
    Vor allem .
    Vor fast allem.
    Ein unangenehmer Geruch hing in der Luft.
    Für den Abend war ein Abschiedsessen geplant (das zugleich eine unauffällige Feier von Clarices kürzlich begangenem fünfzehnten Geburtstag sein sollte), zu dem neben einem halben Dutzend Verwandten aus Jabuticabais auch der benachbarte Gutsbesitzer mit seiner Frau und seinemSohn eingeladen war, einem schmächtigen Jungen namens Ilton Xavier. Der Junge trug einen lächerlichen Anflug von Schnurrbart zur Schau und tat so, als sähe er allen Frauen auf den Hintern und die Beine. Später wurde dieser Junge Clarices Mann. Und ihr Exmann. Viel später sollte er sich einen teuren roten Pick-up kaufen.
    Clarice besaß auch einige Bücher: Pollyanna , Pollyanna wird älter , Die vorbildlichen Mädchen . Solche Sachen. Sie hatte vor, sie für Maria Inês dazulassen, obwohl sie wusste, dass sie sie nicht lesen würde. Maria Inês wollte verbotene Bücher lesen. Auf Steinbrüche steigen. Clarice füllte zwei Koffer und schnürte mit Packpapier ein kleines Päckchen mit ihren Unterlagen. Das war alles. Gern hätte sie noch weniger mitgenommen, hätte die abgestorbene Haut am liebsten ganz zurückgelassen. Aber Otacília hatte ihr befohlen, zwei Koffer zu füllen und die Papiere gesondert zu verpacken (damit sie nicht von einem eventuell auslaufenden Duftwasser beschädigt wurden).
    Lina war in der Küche. Sie war gekommen, um bei den Süßspeisen zu helfen. Otacília, die das Kommando führte, wirkte klein, abgemagert und saß bei der Arbeit auf einem Schemel. Als Clarice ihre Hilfe anbot, stellte sie fest, dass die Küche sich in eine Art Zauberwerkstatt verwandelt hatte, wo starke Aromen sich vermischten und mit Mehl verschmierte Frauen die Rolle der Feen übernahmen. In einem Topf kochte die Karamellcreme. Drei schöne Schüsseln standen auf dem Tisch, eine noch leer, die anderen jeweils grün und orange gefüllt: mit Papayamus und Kürbis-Kokos-Kompott. Lina war dabei, Guaven zu entkernenund die Kerne zu essen. Ihre Haare hatte sie mit einem Tuch zusammengebunden, das vor langer Zeit einmal Otacília gehört hatte und auf dem noch das Muster von einst leuchtenden, dunkelroten Rosen zu erkennen war.
    Hast du die Skulptur von mir schon fertig?, fragte sie Clarice und fügte in der ihr eigenen ungezwungenen Art hinzu: Willst du sie mir nicht schenken, bevor du wegfährst?
    Die Skulpturen. Clarice hatte sie alle im Kutschstall versteckt, in den oberen Fächern eines schmucklosen Schrankes, der nur noch dazu diente, irgendwelches Gerümpel, Reste, unnützes Zeug und kaputte Gerätschaften, die niemand mehr reparieren würde, zu verstauen.
    Wenn du möchtest, schenke ich sie dir. Aber du bist viel hübscher als sie.
    Lina lachte. Dann sagte sie: Morgen früh komme ich, um dir eine gute Reise zu wünschen, und dann gibst du mir die Skulptur.
    Abgemacht. Und ich möchte, dass du fleißig lernst, damit du mir Briefe schreiben kannst.
    Lina schnalzte träge mit der Zunge, stimmte jedoch zu: Ja, ich werde lernen.
    Versprochen?
    Den Mund voller Guavenkerne, nickte sie.
    Eine bewölkte, schmutzig graue Nacht brach an, Staub und unklare Gedanken standen in der Luft. Während Ilton Xavier, der frühreife, vornehm gekleidete Verführer, mit einem Blumenstrauß kam, aß Lina in der Kücheeinen Teller Reis mit Bohnen und Schweinerücken. Beim letzten Bissen begann sie zu schluchzen.
    Weine nicht, Lina, sagte Clarice. Wir bleiben für immer Freundinnen. Ich werde deine Trauzeugin sein und auch die Patentante deiner Tochter. Von Maria Inês Clarice.
    Lina unterdrückte die Tränen, bat um einen Schluck Kaffee und verabschiedete sich mit verweinten Augen.
    Morgen früh komme ich vorbei. Ganz zeitig.
    Und ich gebe dir die Skulptur.
    Draußen am

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