Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
verschmelzen. In endloser Folge spürte ich noch einmal einen Hauch jener Empfindung, als Simon meine Lippen berührt hatte, und trotz des übrigen Durcheinanders und des Wissens, dass der Morgen wütende Eltern und eine noch wütendere Corinne mit sich bringen würde, musste ich unwillkürlich lächeln.
kapitel neun
Simon. Flatternd öffneten sich meine Augenlider. Kleine Funken prickelten in meinen Gliedern, als ich an gestern Nacht dachte. Ich schloss die Augen und träumte noch ein wenig länger von unserem Kuss.
Doch meine Stimmung verdüsterte sich, als ich hinunter in die Küche ging. Nur das Klirren der Teelöffel durchbrach die Stille. Die Familie frühstückte schweigend. Die Atmosphäre war vor Zorn so geladen, dass ich beim Einatmen befürchten musste, mir die Lunge zu verätzen. Eine Welle der Enttäuschung durchfuhr mich, als mein Blick auf Corinne fiel. Sie war aschfahl und ihr Blick winterlich kalt und hart wie ein Eiskristall, als sie mich über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg anstarrte.
Nicht einmal Tante Kathleen konnte sich an diesem Morgen zu einem Lächeln durchringen. Es war wie auf einer Beerdigung.
Ich trank meinen Kaffee dann draußen auf der Veranda, weil ich keine Lust hatte, mir von den anderen meine heimliche Hochstimmung verderben zu lassen. Doch schon der Anblick ihrer angespannten Gesichter hatte mich heruntergezogen. Mein Glück rückte in den Hintergrund, fern und traumähnlich. Offenbar war etwas sehr Ernstes im Busch, viel ernster als die Sanktionen nach einer aus dem Ruder gelaufenen Party, und dem feindseligen Blick Corinnes nach zu urteilen, schob sie mir weiterhin die Schuld für ihre Misere in die Schuhe.
Das war unfair! Ich hatte ihr nichts getan, also warum machte sie mich zum Sündenbock? Während ich in meine Tasse starrte, trat Gen mit ihrem Kaffee heraus auf die Veranda. Sie sah ausgezehrt und verkatert aus, und ich wappnete mich gegen eine höhnische Begrüßung. Doch zu meiner Überraschung blieb sie aus.
»Puh, was für eine Nacht«, brachte Gen schließlich hervor, und ich nickte verschlossen. Ich wollte nicht riskieren, in egal welches Feuer, das um mich herum schwelte, Öl zu gießen. »Corinnes Eltern drehen völlig durch. Sie drohen, sie zurück in die Stadt zu bringen. Ich glaube, ich haue besser bald ab.«
»Sie wollen sie zurückschicken?«, fragte ich stirnrunzelnd.
Gen zuckte mit den Schultern. »Sie glauben, Corinne hat ein Drogenproblem.«
Ich schluckte und dachte daran, wie Corinne dort hinten auf der Düne ausgesehen hatte. »Hat sie denn eins?«
Ich kam mir bei der Frage ein bisschen dämlich vor, aber sie war durchaus ernst gemeint. Ich wusste es einfach nicht. Corinne und ich waren so weit voneinander entfernt! Ich dachte daran, wie sie dagelegen hatte und alle sie berührt hatten. Ob Bekannte oder Unbekannte, ihr war alles ganz egal gewesen. Sie hatte halbtot ausgesehen. Wie eine Schaufensterpuppe in Corinne-Gestalt. Mir wurde ganz flau bei der Erinnerung. Aber die Wahrheit lag auf der Hand: Ich kannte Corinne nicht mehr. Vielleicht wusste sie selbst nicht mehr, wer sie war.
Gen lächelte – ein schmallippiges, ironisches Lächeln. »Ein Drogenproblem«, wiederholte sie. »Sie ist nicht auf Heroin oder so. Sie hat gestern nur Ecstasy eingeworfen. Und ein bisschen Gras geraucht.«
»Ach so«, murmelte ich. Ecstasy und Gras. In meinen Ohren klang das schlimm genug, besonders, wenn das bei Corinne zur Gewohnheit wurde.
»Ich nehme an, dass ihre Eltern sie schon öfter erwischt haben«, fuhr Gen fort. »Sie war quasi auf Bewährung. Und jetzt ist ihre Mom supersauer.« Laute Stimmen drangen aus dem Inneren des Hauses. Eine Tür knallte. »Mir wird’s hier allmählich ein bisschen zu heftig.«
»Corinne ist sauer auf mich«, sagte ich endlich. »Aber ich weiß nicht, warum, denn ich habe meiner Tante und meinem Onkel nichts gesagt.«
»Wie auch immer.« Gen trank einen Schluck Kaffee. Als sie meine verdächtig glänzenden Augen sah, zog sie eine Augenbraue hoch. Ich biss mir fest auf die Wange, um das Weinen zu unterdrücken. Wegen Corinne zu heulen war blöd genug, aber auch noch in Gegenwart von Gen? Reiner Selbstmord! Ich konzentrierte mich darauf, splitternde Farbe vom Balkongeländer abzupulen. Krampfhaft hielt ich die Tränen zurück und wünschte, Gen würde verschwinden.
»Hey«, sagte sie, so mitleidähnlich, wie sie nur konnte. Das brachte mich aus der Fassung. »Jetzt sei doch nicht so ein Emo. Corinne ist total
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