Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
meine Füße liefen wie von selbst weiter.
Ich blinzelte, so grell spiegelte das Haus die Sonne wider. Das ganze Gebäude war mit blendend weißen Kacheln und Chrom verkleidet, so dass es mir entgegenblinkte wie ein Raumschiff. Ich war erst einmal hier gewesen, vor Jahren, bei dem Barbecue mit Marty Hollis’ haarigem Hintern. Doch das Haus war fast vollständig renoviert worden und erinnerte jetzt an eine fliegende Untertasse. Aus der Nähe betrachtet, fiel es mir noch schwerer, mir Simon darin vorzustellen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Ich zuckte zusammen. Eine spindeldürre Frau mit Sonnenbrille warf mir aus einem Liegestuhl heraus ein schwaches Lächeln zu. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. Neben ihrem Ellbogen stand ein Glas Eistee, und mir fiel auf, dass sie genauso rote Haare wie Simon hatte.
»Guten Tag«, sagte ich. »Ich möchte zu Simon. Ich bin Mia, von nebenan.«
»Oh!« Ein freudiges Kribbeln lief mir die Wirbelsäule hinunter, als sich das Lächeln der Frau beim Hören meines Namens verbreiterte. Offenbar hatte Simon seiner Mutter von mir erzählt. »Simon wird sich freuen, dich zu sehen, Mia«, sagte sie, stand von ihrem Stuhl auf, ging ins Haus und rief nach ihm. »Ich glaube, er ist in seinem Zimmer und malt.«
Während Mrs Ross ins Haus ging, um Simon zu holen, blickte ich mich ein bisschen um. Gebäude und Umgebung vereinten einen Mischmasch verschiedenster architektonischer Stile, was wohl ultramodern sein sollte. Unterhalb der Terrasse lag ein nierenförmiger, von Kacheln eingefasster Pool, der sich bis zur Seite des Hauses erstreckte. Aus Nymphenskulpturen sprudelte Wasser. Das alles war neu und musste ein Vermögen gekostet haben.
Von der Terrasse aus konnte ich einen Blick ins Innere des Hauses werfen. Marmorfußböden, alles weiß, glänzend und steril, eine Atmosphäre zwischen Arztsprechzimmer und griechischem Grabmal, an jeder Ecke geriffelte Säulen: Man brauchte keine Fachkenntnisse aus Schöner Wohnen , um festzustellen, dass das Haus eine Katastrophe war. Eine teure Katastrophe. Doch es war nicht nur architektonisch verkorkst, sondern strahlte zudem eine große Kälte aus. Wie konnten sich die Bewohner darin entspannen?
Aber der Pool gefiel mir gut. Er war kitschig, aber irgendwie toll mit seinen blattgoldschimmernden Mosaikkacheln. Hoffentlich hatte Simon Lust zum Schwimmen.
Aber als er heraus auf die Terrasse kam, sah es nicht danach aus.
»Hey«, sagte er.
»Hey«, sagte ich und schluckte. Simon wirkte ernst und irgendwie peinlich berührt. War ich ihm peinlich? War es ihm unangenehm, dass ich rübergekommen war? Sagte ihm seine innere, vernünftige Stimme jetzt, bei Tageslicht, dass er einen Fehler gemacht hatte?
Doch dann erschienen Lachfältchen um Simons Augen und er brach sein ungewöhnlich langes Schweigen. Er sagte: »Ich freue mich, dass du gekommen bist. Ich bin …«
Bevor er seinen Satz beenden konnte, wurde er von einem lauten Rufen unterbrochen. »Karen!«, brüllte jemand dröhnend, mit ähnlich tiefer, heiserer Stimme wie Simon. »Wo bleibt das verdammte Mittagessen? Herrgott nochmal!«
Simon zuckte zusammen, ganz leicht nur, aber ich sah es und ich sah auch, wie er und seine Mutter Blicke tauschten, bevor sie ein breites Lächeln auflegte und antwortete: »Ich komme, Schatz! Ich habe nur Mia begrüßt, Simons Freundin!«
Simon schloss die Augen, und ich wusste, es wäre ihm lieber gewesen, wenn seine Mutter nichts gesagt hätte. Mrs Ross richtete ihr Lächeln ans Wohnzimmer und dann an uns. Irgendwie wirkte dieses Lächeln wie ferngesteuert, als käme es nicht aus ihr heraus, sondern von außen, von jemand anderem.
Als ein dunkler Schatten das Wohnzimmer durchquerte, erwartete ich eine Art hässliches Scheusal. Doch Mr Ross erwies sich als gutaussehend auf eine stämmige, aber sehr männliche Art. Er hatte silbergraue Haare und trug ein roséfarbenes Polohemd mit Designerlogo auf der Brusttasche, schicke Khakihosen und Slipper. Er sah aus, als wolle er zum Golfspielen aufbrechen. Allerdings wusste ich von Simon, dass man ihn immer noch nicht eingeladen hatte, auf dem begehrten Platz des Southampton Clubs zu spielen.
Doch auch wenn Mr Ross hier draußen in Southampton keine Macht besitzen mochte, so war deutlich, dass er in seiner Welt ein einflussreicher Mann war. Er strahlte großes Selbstvertrauen aus und lächelte mich so liebenswürdig an, dass ich schon dachte, ich müsste mich eben verhört haben.
»Wie nett, dich kennenzulernen, Mia. Wie
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