Der Sommer der Toten
säubern und in Plastikbeutel zu verpacken.
Die Ausbeute war recht spärlich. Das Feuer hatte fast nichts mehr übriggelassen. Letztlich stellten sie ihre Suche ein und beschlossen, wieder zur Pension zurückzukehren, um erst einmal zu frühstücken. Außerdem hatte in der vergangenen Nacht niemand geschlafen und jeder konnte ein paar Stunden Schlaf trotz der Aufregungen sehr gut gebrauchen.
Sie traten den Rückweg an. Während des ganzen Marsches herrschte Schweigen. Jeder ging seinen eigenen Gedanken nach. Aber allen Gesichtern war ein und dasselbe abzulesen: Sie hatten Angst.
Niemand wusste, was kommen würde. Niemand war in der Lage, abzuschätzen, welche bislang unbekannten Gefahren noch auf sie lauerten. Niemand kannte auch nur ansatzweise eine Lösung auf all die Rätsel, die diese obskure Situation ihnen aufgab.
Auch als sie Annas Pension erreichten und zusammen frühstückten, wechselte niemand ein Wort. Sie verabredeten sich lediglich zum frühen Nachmittag, um weitere Schritte zu planen.
Anschließend gingen sie auf ihre Zimmer und legten sich in ihre Betten. Anna tat es ihnen gleich, übergab die Aufgaben in der Wirtschaft Sandra und ging in ihre Wohnung.
Fast alle schliefen auf der Stelle ein. Lediglich Irmhild wälzte sich im Bett hin und her und verging fast vor Angst.
Kaum eine Stunde später zollte sie den Aufregungen und Anspannungen ihren Tribut. Irmhild war nicht mehr die Jüngste und gesundheitlich auch nicht mehr auf der Höhe. Sie starb schnell und lautlos im Bett.
2.
Als sie sich im Gastraum zu dem vereinbarten Zeitpunkt wieder trafen, war noch niemand besorgt, weil Irmhild nicht auftauchte. Alle schrieben es zunächst der durchwachten Nacht zu, die für eine Dame ihres Alters sicherlich eine erhebliche Belastung dargestellt hatte.
Als Irmhild nach dem Essen immer noch nicht eingetroffen war, ging Anna zum Tresen, um sie über das Zimmertelefon zu wecken.
Da Irmhild nicht abnahm, wartete Anna beunruhigt nochmals fünf Minuten, rief erneut an und bat anschließend Kommissar Kellermann, sie zu begleiten, wenn sie mit dem Generalschlüssel das Zimmer öffnete, in dem sie Irmhild einquartiert hatte.
Als sie Irmhilds Leiche vorfand, reagierte sie mit einer Kaltblütigkeit, die sie selbst erschreckte.
Der Schock über einen weiteren Toten trat in diesem Augenblick nicht ein. Ihre vorrangige Sorge galt zunächst der Frage, wie sie verhindern konnte, dass Irmhild ebenfalls plötzlich als lebende Leiche durch ihre Pension stolperte. Folglich griff sie zum Zimmertelefon und rief einen Notarztwagen.
Der Notarzt würde den Tod feststellen und die Leiche hoffentlich unverzüglich abtransportieren. Kommissar Kellermann untersuchte die Leiche kurz, konnte aber nichts Besonderes feststellen.
Im Moment schien Irmhild keinerlei Anstalten zu machen, sich aus dem Bett zu erheben. Anna bat Kellermann, auf die Leiche aufzupassen, und eilte auf die Straße, um den Notarztwagen zum Hintereingang zu leiten. So würden die Gäste hoffentlich nicht viel von dem Zwischenfall mitbekommen.
Der rasch eintreffende Notarzt stellte in der Tat den Tod fest und rief über Funktelefon einen Leichenwagen. Danach bekam er auch schon den nächsten Notruf und verabschiedete sich eilig. So musste Anna wohl oder übel das Eintreffen des Leichenwagens abwarten.
Doch auch dieser kam relativ schnell und die beiden Männer holten Irmhilds Leiche mit erfreulicher Diskretion ab.
Nach einer Stunde war der ganze Spuk vorbei und sie konnte sich endlich zu Klaus und Bianca gesellen.
Der Kommissar hatte die beiden in der Zwischenzeit von Irmhilds Tod unterrichtet. Ihnen stand das Entsetzen auf dem Gesicht geschrieben.
„Wieso müssen nur so viele Menschen sterben?“, fragte Bianca tonlos mit halb erstickter Stimme.
„Irmhild war alt“, versuchte Anna zu beruhigen. „Nach allem, was wir wissen, war es ein ganz natürlicher Tod. Ich glaube zwar, dass die Aufregung der letzten Zeit etwas damit zu tun hatte, aber hier gab es keine Zombies, die den Leuten die Köpfe umdrehen, und auch keine sonstigen unnatürlichen Todesursachen. Der Notarzt sprach von Herzversagen. Das müssen wir akzeptieren.“
„Ich weiß aber nicht, wie lange ich das noch verkrafte“, entgegnete Bianca. „Ich merke, dass ich so langsam an meine Grenzen komme.“
„So schnell geht das nicht“, sagte Anna. „Das war ziemlich heftig, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert ist, und wir sind alle am Ende. Vielleicht sollten wir uns heute
Weitere Kostenlose Bücher