Der Sommer der Toten
Bianca ihm keinen Unsinn aufgetischt hatte. Es fiel ihm zwar immer noch schwer, zu glauben, was sie ihm erzählt hatte, und er versuchte immer noch, natürliche Erklärungen für das zu finden, was hier passiert war, aber er schätzte Bianca als selbstbewusste, intelligente Frau ein, die sich von niemandem gerne zum Narren halten ließ.
Er würde sich lieber die Zunge abbeißen, als es laut und vor allem in Gegenwart von Bianca zuzugeben, aber ihre rotzfreche Art, mit der sie ihm am Anfang gegenübergetreten war, fand er auf Anhieb charmant.
Kellermann ertappte sich dabei, wie er beim Gedanken an Biancas Frechheiten still in sich hineingrinste, räusperte sich verlegen, als wäre ihm in aller Öffentlichkeit ein peinlicher Lapsus unterlaufen, und konzentrierte sich wieder auf die Suche nach Spuren in der Brandruine.
Es war die berühmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Oberflächlich in den Trümmern konnte er nichts entdecken, was ihn auch nur einen Schritt weiter gebracht hätte und um tiefer zu graben, fehlte ihm das nötige Gerät.
Dennoch gab er nicht auf. Er erklomm einen besonders hohen Schuttberg. Das war ein gefährliches Unterfangen. Das Geröll konnte sich jederzeit lösen und ihn in die Tiefe rutschen lassen. Es kam ihm geradezu ironisch vor, wie sich einige kleinere Steine lösten und den Schutthaufen hinab rollten – ganz so als wollten sie ihm demonstrieren, was ihm bevorstehen würde, wenn er nicht aufpasste.
Kellermann schüttelte unwillig mit dem Kopf und konzentrierte sich auf den Gipfel des Schutthaufens. Dieser Berg müsste nach den Gesetzen der Physik das repräsentieren, was zuvor der Dachboden gewesen war. Zu oft pflegten Menschen gewisse Erinnerungen – vor allem die der unangenehmen Sorte – auf dem Dachboden aufzubewahren. Pfarrer Schuster schien einer derjenigen gewesen zu sein, die sich mit den Hintergründen der mysteriösen Ereignisse hier im Dorf umfassend beschäftigt hatten. Vielleicht lagerten wichtige Informationen auf dem Dachboden und vielleicht waren sie ja noch zumindest zum Teil erhalten. Große Hoffnungen hatte Kellermann nicht, aber er war schon zu lange Polizist, um nicht jedem noch so unscheinbaren und wenig Erfolg versprechenden Hinweis nachzugehen.
Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und fiel der Länge nach bäuchlings hin. Es gelang ihm noch im letzten Augenblick, sich an einem herausragenden halb verkohlten Dachbalken festzuklammern, um nicht vollends hinunterzurutschen, aber unter seinen Füßen löste er eine kleine Steinlawine aus.
Die Geräusche der hinabrollenden Steine ließen ihn für einen Moment innehalten. Die meisten Steine rollten mit einem unspektakulären leisen Poltern hinunter und blieben einige Meter tiefer liegen.
Andere verschwanden irgendwo in der Tiefe und ließen kurz darauf ein hohles leicht hallendes Geräusch vernehmen – so als wären sie in einen tiefen Schacht gefallen.
Kellermann drehte sich um und setzte sich in den Schutthaufen. Er wartete, bis sich das lose Geröll wieder beruhigt hatte, dann trat er mit den Füßen erneut eine kleine Steinlawine los.
Wieder rollten die meisten Steine ohne großen Aufhebens hinunter, während einige andere irgendwo in der Tiefe zu verschwinden schienen.
Kellermann rutschte zwei Meter nach unten und trat erneut einige Steine los und lauschte jenen, die etwas weiter in die Tiefe fielen. Dieses Spielchen wiederholte er, bis er einigermaßen die Stelle lokalisiert hatte, an der die Steine verschwanden.
Er zückte seine Taschenlampe und wollte sie einschalten, um nachzusehen, ob es hier irgendwo einen Hinweis gab, der zu dem von den anderen beschriebenen Kellergewölbe führte.
So weit kam er allerdings nicht mehr, denn irgendwo unter ihm brach der Schutt in sich zusammen und Kellermann fiel, gefolgt von jeder Menge Staub und Schutt in die Tiefe und schlug nach etwa drei Metern unsanft auf und rollte haltlos eine Steintreppe hinunter.
Nachdem er sich ein letztes Mal überschlagen hatte, spürte er einen stechenden Schmerz, als er dermaßen unglücklich auf der letzten Treppenstufe aufkam, dass er sich den Fußknöchel brach.
5.
Bianca hielt es gerade mal zwei Stunden in der Disco aus. Die Musik gefiel ihr. Auch das Ambiente von dem Laden als solches war okay.
Der DJ in der Disco hatte die Anlage mittlerweile so laut aufgedreht, dass auch in der angrenzenden Kneipe eine Unterhaltung so gut wie unmöglich war und nur auf ein Minimum beschränkt werden konnte.
Vom männlichen
Weitere Kostenlose Bücher