Der Sommer der Toten
Schuttberg, der das Ende seines Fluchtwegs markierte, angelangt war.
Er setzte sich hin, wartete und hoffte, dass Bianca und ihre Freunde schneller hier waren als der Zombie.
Minuten später hörte er ein lautes Krachen, als der Zombie das Weinregal umstieß.
10.
Anna fuhr wesentlich schneller als erlaubt. So, wie sie Bianca verstanden hatte, steckte Kellermann ziemlich tief in der Klemme und brauchte rasch Hilfe.
Klaus saß wortlos neben ihr und hielt krampfhaft den Handgriff fest, der über dem Türholm angebracht war. Seine Knöchel traten jedes Mal dann weiß hervor, wenn Anna mit ihrem Mercedes wieder eine Kurve mit einem nach Klaus’ Meinung viel zu hohen Tempo nahm.
Aber der Wagen nahm jede Kurve ohne Probleme, quittierte so manches von Annas Fahrmanövern mit protestierendem Reifenquietschen, aber entgegen jeder Erwartung, die Klaus hatte, wurde das Fahrzeug aus keiner Kurve katapultiert und sie erreichten unbeschadet den Parkplatz am Fuße des Hexenhügels.
Anna schaltete den Motor ab und stieg aus. Klaus folgte ihr mit etwas weichen Knien. Aus dem Kofferraum nahm Anna eine starke Taschenlampe. Dann gingen sie wortlos den Hügel hinauf.
Klaus überkam sofort ein beklemmendes Gefühl, das umso stärker wurde, je mehr sie sich dem Friedhof näherten.
Auch Anna schlang fröstelnd die Arme zusammen.
„Unangenehm, nicht?“, brach Klaus schließlich das Schweigen.
„Ich kann mich jedenfalls an Zeiten erinnern, wo ich hier oben weniger Muffensausen hatte“, gab Anna unumwunden zu.
Sie erreichten den Hexenhügel und steuerten sofort die Trümmer des Pfarrhauses an.
„So. Hier sind wir. Jetzt müssen wir nur noch Kellermann finden.“ Klaus sah sich um.
Außer Anna und Klaus schien sich niemand auf dem Friedhof und dem angrenzenden Kirchengelände aufzuhalten. Klaus hätte auf Anhieb auch beliebig viele Plätze in Berghausen aufzählen können, die weitaus weniger beklemmend waren.
Anna schaltete die Taschenlampe ein und ließ den Strahl langsam in die Runde kreisen. Als der Lichtfinger über den Friedhof strich, zog Klaus, der ebenfalls dem Lichtstrahl folgte, plötzlich laut die Luft ein.
Anna hielt inne und sah ihn alarmiert an.
Mit aufgerissenen Augen, die einen leicht hysterischen Ausdruck offenbarten, nahm Klaus wortlos die Taschenlampe an sich und ging auf den Friedhof.
Anna folgte ihm. Klaus ging auf eine Grabreihe zu und blieb vor einem Grab stehen. Der Lichtkegel der Taschenlampe deutete auch auf die Inschrift des Grabsteines. Der Verstorbene hier war schon seit gut siebzehn Jahren tot.
Daher konnte gar nicht sein, was beide hier sahen und was auch Anna dazu brachte, trotz allem an ihrem eigenen Verstand zu zweifeln.
Aus der Erde des Grabes ragte eine nahezu unversehrte menschliche Hand, die sich tastend hin und her bewegte.
11.
Dreiundzwanzig Schuss.
So lautete Kellermanns Rechnung, nachdem er seine Dienstwaffe hervorgeholt hatte. Zwölf Schuss im Magazin in der Waffe und weitere zwölf Schuss in dem Ersatzmagazin, das er immer bei sich trug.
In all seinen Dienstjahren hatte Kellermann noch nie ein Ersatzmagazin benötigt – geschweige denn seine Dienstwaffe. Dennoch achtete er immer peinlich genau darauf, immer beides mit sich zu tragen.
Warum er das tat, vermochte er selbst nicht genau zu sagen. Wahrscheinlich war das noch ein kleines Überbleibsel von jenen Zeiten, die ihn als 14-jährigen dazu gebracht hatten, überhaupt Polizist zu werden.
Er erinnerte sich noch daran, wie er sich heimlich in das Kino geschlichen hatte, um sich Dirty Harry anzusehen. Es war damals eine Art Mutprobe gewesen. Der Notausgang des Kinos konnte über eine Außentreppe erreicht werden und es kam oft genug vor, dass diese Türen gar nicht abgeschlossen waren. So hatten sie sich als Kinder in die Kinosäle hineinschleichen können und hatten sich Filme angesehen, die nicht selten erst ab achtzehn freigegeben waren.
Es waren vor allem die brutalen Polizeifilme mit Clint Eastwood gewesen, die Kellermann dazu bewogen hatten, ebenfalls in den Polizeidienst zu gehen, um genauso ein cooler Superbulle zu werden.
Die Realität hatte ihn in der Zwischenzeit eingeholt – er hatte ein Magengeschwür, Überstunden, die er nie wieder abfeiern konnte, eine geplatzte Ehe, und er hatte so ziemlich jede Illusion über sein Leben verloren. Eigentlich zählte er nur noch die Jahre bis zu seiner Pensionierung. Jetzt war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er diese noch erleben durfte.
Schon seit geraumer Zeit
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