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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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Unterinspektorin Andreu, die auch nicht gut geschlafen zu haben schien, so tief waren die Ringe unter ihren Augen, informierte ihn darüber, während sie in einem Café in der Nähe der Fakultät frühstückten.
    »Dieser Dr. Omar ist wirklich ein merkwürdiger Typ«, sagte Andreu. »Anders gesagt, das Wenige, was wir haben, ist ziemlich merkwürdig. Aber der Reihe nach: Unser geschätzter Doktor kam vor acht Jahren nach Spanien und ließ sich vor fünf Jahren in Barcelona nieder. Vorher war er irgendwo im Süden, auch wenn nicht ganz klar ist, was er dort gemacht hat. Allerdings wissen wir, dass er mit genügend Bargeld herkam, um die Wohnung zu kaufen und mit seinen Geschichten anzufangen. Und entweder er hat sein Geld in der Schubladeverwahrt, oder seine Geschäfte warfen nicht viel ab. Seine Kontobewegungen sind jedenfalls sehr übersichtlich, und er lebte nicht eben luxuriös, du hast es ja gesehen. Denkbar ist, dass er das Geld ins Ausland geschickt hat, aber fürs Erste haben wir nichts. Dem Anschein nach lebte Dr. Omar, der übrigens mit richtigem Namen Ibraim Okoronkwo heißt, sehr bescheiden von seinen Sprechstunden. Ohne die Aussage dieses Mädchens, und sie kann sich natürlich geirrt haben, hätten wir nichts, was ihn mit dem Frauenhändlerring in Verbindung bringt, auch mit keinem anderen Vergehen, außer dass er heiliges Wasser gegen Gastritis und böse Geister verkauft hat«.
    Héctor hatte reglos zugehört.
    »Und zu seinem Verschwinden?«
    »Nichts. Der Letzte, der ihn gesehen hat, war sein Anwalt, Damián Fernández. Das Blut an der Wand und auf dem Boden deutet auf eine Entführung oder Schlimmeres. Und der verflixte Schweinekopf ist wohl eine Botschaft, aber für wen? Für uns? Für Omar?«
    Héctor stand auf, um zu bezahlen. Dann überquerten sie gemeinsam die Straße und suchten nach dem Zimmer von Dr. Santacruz.
    Die Fakultät für Geschichte war ein hässliches Gebäude, was auch die großzügigen Gänge, im Juli fast leer, nicht ausglichen. Für einen überzeugten Atheisten wie Héctor hatten Theologiedoktoren etwas Einschüchterndes, aber Dr. Santacruz, der schon auf die sechzig zuging, war eine recht unmystische Erscheinung. Seine Bücher über afrikanische Kultur und Religion waren Klassiker und wurden allenthalben an den Instituten für Anthropologie gelesen. Trotz seines Alters schien Santacruz in Bestform zu sein, ein Eindruck, zu demseine fast Einsneunzig, der breite Rumpf und die Schultern eines baskischen Pelotaspielers beitrugen. Für Héctor war er geradezu das Gegenteil eines Theologen, so dass er sich gleich wohler fühlte.
    Santacruz hörte ihnen aufmerksam zu. Héctor ging in seiner Schilderung zurück bis zu der Operation gegen den Frauenhandel und Kiras Tod und erzählte dann von den letzten Vorfällen, ließ allerdings sowohl die Schläge, die er Omar versetzt hatte, als auch die am Abend zuvor aufgetauchten mysteriösen DVDs aus, von denen nicht einmal Andreu etwas wusste. Er berichtete von Omars Verschwinden, von dem Schweinekopf und dem Dossier mit seinem eigenen Namen. Als er fertig war, schwieg sein Gegenüber, mit nachdenklicher Miene, als hätte ihn das Gehörte nicht ganz überzeugt. Er wiegte den Kopf hin und her, bevor er sprach.
    »Tut mir leid.« Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl. »Was Sie mir erzählen, verwundert mich sehr. Und es alarmiert mich, um ehrlich zu sein.«
    »Etwas Bestimmtes?«, fragte Andreu.
    »Ja. Verschiedenes. Soweit es die Prostituierten betrifft, ist das nichts Neues. In seiner schlimmsten Ausprägung wird der Voodoo als Werkzeug zur Überwachung eingesetzt. Die Rituale, von denen Sie gehört haben, sind absolut real und von ungeheurer Wirkung auf die, die daran glauben. Die Mädchen sind überzeugt davon, dass ihr Leben und das ihrer Familie bedroht sind, und in gewisser Weise stimmt es ja auch. Ich könnte Ihnen von Fällen erzählen, die ich während meiner Studien in Afrika und manchen Gegenden der Südkaribik erlebt habe. Die Verurteilten verbringen mehrere Tage in panischer Angst, und die Angst führt schließlich zu ihrem Tod.«
    »Das heißt?«, fragte Héctor ein wenig ungeduldig.
    »Das absolute Grauen ist ein schwer zu erklärendes Gefühl, Herr Inspektor. Es gehorcht keiner Logik, mit Argumenten kommt man ihm nicht bei. Mehr noch, das Opfer wählt, wie sicher auch in Ihrem Fall, eine möglichst umstandslose Todesart, um dem Schrecken zu entfliehen und zugleich die Familie zu retten. Sie können davon ausgehen, dass das

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