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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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sich verwirrt um. Und sah Aggie Jensen friedlich daliegen.
    Vielleicht war sein Gehirn gar nicht so langsam, wie man glaubte.
    »Liiiiiib -!« heulte er jene Person an, die ihn das Wort gelehrt hatte und die sicherlich die einzige war, zu der er es gesagt hatte. Aber alles andere begriff er nicht, auch nicht, daß sie tot war.
    Und so hielt er stolpernd und heulend auf Aggie zu.
    Neben dem Sarg hatten sich in den Draperien ein paar Frauen versteckt, und Butch packte eine – es war Alice Starkopf – und schob sie beiseite.
    Genau in diesem Augenblick passierte es. Barney schoß Butch Ronsky in den Kopf. »Direkt in den Kopf«, erzählte Barney später. »In den kleinen kahlen Fleck, wo ihn als Kind die Gabel traf.«
    Butch war in voller Bewegung, als ihn die Kugel traf und riß Alice ein Stückchen mit, ehe er sie losließ. Dann krachte er gegen die Blumen und den Sarg.
    Ein Wandlicht, durch den Anprall gelockert, erlosch sekundenlang. Dann leuchtete es wieder auf, und der sanfte Strahl warf einen Lichtkreis auf den Sarg. Und auf die zwei Toten.
    Seine mausgesichtige Frau quiekte auf, aber Otto Ronsky zuckte nicht mit der Wimper.

 
Sonntagnachmittag
     
     
I
     
    »Vielleicht war er einfach wie betäubt?« vermutete Judy Boomer. »Vielleicht wußte Otto gar nicht richtig, was vorging?«
    Sie saß mit Katie und David unter dem großen Ahornbaum vor dem Haus. Die zwei Jungen spielten im Gras, das Baby schlief in einem Wägelchen.
    »Nein«, sagte Katie leise. »Wenn ich nur glauben könnte, was ich in seiner Miene sah, dann würde ich sagen, er war fast froh.«
    Sie unterhielten sich in gedämpftem Ton. Nicht nur des Babys wegen. Papa kam immer wieder heraus auf die Veranda. Sie hatte den Eindruck, er wolle mithören, was sie sprachen. David war eben zurückgekommen und versuchte sich ein Bild von den Ereignissen zu machen. Er war aufgebracht und sehr beunruhigt.
    »Du hättest heute morgen Mauslocher hören sollen«, sagte Katie. »Unmöglich, ihn zu verstehen.«
    »Das ist nicht weiter ungewöhnlich«, sagte David verächtlich. »Er war immer …«
    »Aber jetzt ist er total verrückt. Und überall hat er diese Statue mit den Ährenbündeln aufgestellt.«
    »Ach, er hatte immer den Land-und-Ernte-Tick. Schließlich geht es den Leuten hier an die Existenz, wenn es Trockenheit oder Hagel gibt.«
    »Aber er geht zu weit. Und die Leute verhalten sich so … unheimlich. Wie die mich angesehen haben.«
    »Dich?«
    »Die Leute hier draußen sind wirklich merkwürdig und verschroben«, sagte Judy Boomer. »Wenn die Lage sich hier in ein paar Tagen nicht ändern sollte, schaffe ich die Kinder bis zu Lents Rückkehr zu Opa Krause.«
    Sie saßen minutenlang da, ohne ein Wort zu sagen und rupften an den Gräsern. David strich einen Halm glatt, hielt ihn an die Lippen und blies darauf. Das Baby fing an zu quengeln und beruhigte sich gleich wieder.
    »Komm doch mit mir zurück nach Minneapolis – nachmittags«, sagte David zu Katie.
    »Schatz, das geht nicht. Ich kann nicht. Mama …«
    »Laß eine Pflegerin aus der Stadt kommen. Laß irgend jemanden kommen. Nur für ein paar Tage. Wenn ich mich dann in der Firma für eine Woche losmachen kann, könnten wir für deine Mutter in Ruhe eine Dauerlösung ausfindig machen.«
    »Ja, das hört sich gut an«, sagte Judy. »Ich glaube, ihre jetzige Situation trägt nicht zur Besserung ihres Zustandes bei.«
    »Aber wo finden wir in so kurzer Zeit jemanden?« sorgte sich Katie. »Und auch wenn wir jemanden aus der Stadt bekämen, würde er es hier draußen kaum aushalten. Mit Bates und Mauslocher und deren Verrücktheiten. Wir können von Glück reden, wenn eine Pflegerin auch nur einen Tag bliebe. Ganz zu schweigen von einer Nacht.«
    »Da muß ich dir recht geben«, sagte David.
    »Na, wenigstens hält Pa sich an sein Versprechen und läßt ihr keine Spritzen mehr geben.«
    »Bis jetzt.«
    »Nein, ich glaube, ich muß wohl bleiben«, schloß Katie. »Und außerdem bist du ja morgen abend wieder da.«
    David war gekränkt. Katie würde also bei ihrem Vater bleiben. Er hatte wieder eine Schlappe hinnehmen müssen. »Hoffentlich«, sagte er. »Ich werd’s jedenfalls versuchen.«
    »Und Barney?« wollte Judy wissen. »Wirst du den Fall weiter verfolgen? Die Sache mit Butch?«
    David zog die Schultern hoch. Er wirkte entmutigt.
    »Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Im Augenblick sieht alles astrein aus. Es hätte gar nicht besser geplant sein können. Da kommt dieser verrückte

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