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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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jeden Moment von seinem Stuhl aufspringen zu wollen, »… und ich hielt zufällig beim Laden an …«
    Katie, die Tasche an sich gepreßt, wollte zur Tür.
    »Und?«
    »… ja, komisch war das, Barney wollte telefonieren, und da blieb die Münze im Schlitz stecken …«
    Doc Bates öffnete die schwarze Tasche.
    »… und da schlägt er mit seinem heilen Arm auf den Apparat. Du weißt ja, wieviel Kraft der hat …«
    Papa war aufgestanden.
    »Nun, der langen Rede kurzer Sinn, das Telefon ist im Moment außer Betrieb und …«
    »Aber ich werde eines anschließen lassen«, versprach Papa. »Noch heute nachmittag …«
    Sie machte einen Satz auf die Tür zu. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse. Mauslocher tat ebenfalls einen Satz, sehr behende für einen Mann seiner Größe. Er packte Katie. Sie drehte und wand sich, um freizukommen. Ihre Hand faßte nach der Klinke, erreichte sie fast. Der Geistliche stolperte. Die Tür ging auf und fiel quietschend wieder ins Schloß, als Papa Katie packte und festhielt.
    Sie spürte die Nadel des Arztes, ohne sie zu sehen. Ihr Blick trübte sich, und dunkles Vergessen strömte durch ihre Adern.

 
Dienstag, 22. Juni
     
     
I
     
    »Katie, liebe Katie, es tut mir so leid. Wir dachten, wir müßten es tun. Du warst so außer dir.«
    Es war Morgen. Das spürte sie an der frischen Luft, die vom Fenster hereinwehte, und am frischen, hellen Gesang der Vögel.
    Aber welcher Morgen? Wo steckte David? Sie sah sich um.
    Man hatte sie in Mamas Bett gelegt. Ein Schaudern überlief sie.
    »Wie fühlst du dich jetzt?« fragte Papa. »Wirst du dazu imstande sein?«
    »Wozu?«
    Sie richtete sich auf und sah ihn an. Seine Stimme und seine Miene waren sanft. Aber …
    »Mamas Beerdigung natürlich«, sagte er.
    Der Drogennebel war wie ein Vorhang, durch den sie nur einen Schatten der Wirklichkeit wahrnehmen konnte.
    »Welchen Tag haben wir heute?«
    »Dienstag. Sommersonnenwende.«
    Der Zweiundzwanzigste. David.
    »Aber sie ist doch erst gestern gestorben …«
    »Ich weiß. Aber Reverend Mauslocher hält es so für das Beste.«
    »Was hat der denn damit zu schaffen?« Sie setzte sich unvermittelt auf, aber es gelang ihr nur unter großen Schwierigkeiten. Bates Beruhigungsmittel waren sehr stark, und die Nachwirkungen ebenfalls. Jetzt begriff sie, wie schwer es für Mama gewesen sein mußte, nicht nur klar zu denken, sondern sich auch verständlich zu machen. »Ich möchte David anrufen.«
    »Das ist unmöglich. Hercs Apparat ist kaputt. Der alte Barney …«
    Sie brauchte zwar einige Sekunden, aber dann konnte sie sich erinnern. Und noch mehr: Ihr fiel der Kampf an der Tür ein, die Nadel. Wut stieg in ihr auf. Sie rückte von ihrem Vater ab.
    Er sah verblüfft und erschrocken drein.
    Gut so, dachte sie. »Du wolltest doch heute den Anschluß wieder herstellen lassen.«
    »Ja, ich …«
    Und David. Er war gestern abend nicht gekommen. Er wußte nichts von Mama. Er würde also einen ganzen weiteren Tag in Minneapolis bleiben.
    »Ich fahre rüber zu Judys Häuschen und rufe von dort aus an.«
    »Geht nicht. Otto hat die Schlüssel. Er will Aggies Besitz kaufen. Morgen wird die Entscheidung fallen. Außerdem wurde der Anschluß gestern gesperrt.«
    »Gestern -?«
    »Gleichzeitig wurde das Kabel von der Straße zu unserem Haus gelegt. Das mußte als erstes erledigt werden. Ansonsten hätten wir das Telefon bereits. Das alte. Ich werde es heute selbst anschließen, gleich nach der Beerdigung. Dann kannst du ihn anrufen.«
    »Aber David sollte es jetzt erfahren. Er sollte jetzt da sein.«
    »Tut mir leid«, sagte Papa. »Aber so hat es sich eben ergeben. Es bleibt uns keine Zeit.«

 
II
     
     
    »Heute, am Tag der Sommersonnenwende, übergeben wir unserer guten Erde den Leib von Katrin Jasper«, setzte Reverend Mauslocher an.
    »Möge sie den Weg bereiten!« antwortete die Gemeinde im Chor.
    Die Bäume um den Friedhof schienen dichter als tags zuvor, so als sollten sie zufällige Blicke der Außenwelt ausschließen.
    Hinter den Spitzen der Zypressen brannte die Sonne.
    Die Luft war heiß und reglos. Die Vögel waren verstummt.
    »Sie hat sich der Erde geschenkt, und dafür danken wir ihr!«
    »Möge sie den Weg bereiten!«
    Alles wie gestern, und doch anders. Die Worte waren anders, und Mama, deren offenes Grab neben dem Aggies lag, war auch anders. Mit wachsendem Entsetzen sah Katie, daß die Gräber verändert schienen. Die Grabstellen von Butch und Aggie, auf denen die frisch aufgeworfene Erde als

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