Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
Tritt
aufgestoßen worden. Grellon unterbrach seine Ausführungen und blickte sich um.
Sechs große Gestalten betraten den Saal. Im Gegenlicht des Foyers konnte er sie
nicht erkennen. Aber sie marschierten mit der stolzen Haltung von Soldaten.
Eine von ihnen stürmte vor das große Pult.
„Ich
verlange, dass mein Sohn augenblicklich freigelassen wird!“
Grellon konnte
sich denken, wer das war. Dorn von Duular, Kjeirs Vater. Er hatte langes,
blondes Haar. Sein Gesicht war bartlos und hager. Unter den hohen Wangenknochen
bebten die Muskeln vor Zorn. Die anderen Neolinga formierten sich mit vor der
Brust verschränkten Armen vor der Tür. Sie alle trugen schwarze Capes.
„Dorn, darf
ich dich bitten …”, begann Adalar.
„Es ist eine
Unverschämtheit, dass ich nicht über diese Anhörung informiert wurde!”,
polterte Dorn weiter.
„Dorn …”,
versuchte Adalar es erneut, „… wir sind dabei, Zeugenaussagen …”
„Wer war Zeuge?“
Dorn schnellte herum. Der Blick seiner Schlangenaugen durchbohrte Grellon.
Bedrohlich schnell kam er auf ihn zu.
Kinsella trat
aus dem Schatten und stellte sich ihm in den Weg. Dorn zögerte. Dann trat er
bis auf eine Armeslänge an sie heran. Er überragte Kinsella um zwei Köpfe.
Wie der
Vater, so der Sohn, dachte Grellon. Ihm war unwohl. Dorn sprach über Kinsella
hinweg, als wäre sie Luft. Aber er blieb auf Abstand.
„Bist du das,
der meinen Sohn beschuldigt?“
„Was? Nein,
ich habe nicht …”, stammelte Grellon.
„Und das von
einer Stadtratte”, raunte Dorn.
„Jetzt ist
es aber genug!“ Adalar schlug so hart mit der Faust auf das Pult, dass es
bebte.
Einer der
Neolinga meldete sich zu Wort.
„Adalar! Du
musst verstehen. Es ist sein Sohn.“
Die anderen
brummelten ihre Zustimmung.
„Nicht so!
Nicht hier!”, forderte Adalar.
Hallimasch
erhob sich von seinem Stuhl. „Meine Herren, Adalar hat recht. Auch wenn ich die
Emotionen verstehe, ich bitte um etwas Vernunft.”
Dorn lachte
verächtlich. „Vernunft? Was redest ausgerechnet du von Vernunft? Ich will
meinen Sohn!“
„Erst gilt
es zu klären, was wirklich geschehen ist”, entgegnete Hallimasch ruhig.
„Und da
glaubt ihr diesem …”, Dorn suchte nach dem richtigen Wort, „… diesem Fremden
mehr als Kjeir?“
„Nein, das
tun wir nicht. Aber auch nicht weniger. Unser Gast hat deinen Sohn nicht
beschuldigt. Es sind die Beweise, die Kjeir belasten.“
„Die
Anhörung darf nicht ohne die Anwesenheit der Neolinga durchgeführt werden! So
will es das Gesetz!”, rief Dorn. Adalars Miene verdüsterte sich. „Die Neolinga
waren die ganze Zeit anwesend. Darf ich dich daran erinnern, dass noch immer
ich der Herr der Neolinga bin.“
„Dem Fremden
kann man nicht trauen. Vielleicht hat er Hwarf überfallen?”, warf einer der
Neolinga ein.
„So ein
Unsinn!“ Hallimasch lachte höhnisch. „Grellon saß neben mir am Tisch, als es
geschah. Und dann hat er noch seinen eigenen Sohn in den Fluss geworfen? Blair,
du bist ein Schwachkopf!“
„Ihr steckt
doch alle unter einer Decke!”, brüllte Blair. „Verschwörung!”, rief ein anderer.
Dann schrien
alle durcheinander. Nur Kinsella schwieg. Grellon sah, das Ansbert wieder den
Saal betrat. Adalar musste sich bücken, damit der kleine Butler ihm ins Ohr
flüstern konnte. Adalars Gesichtsausdruck verriet Überraschung. Er streckte die
Arme in die Höhe. „Ruhe!”, bat er. „Hört mir zu!“
Die
Diskussion verebbte.
„Danke. Wir
haben Besuch. Noch mehr. Die Farindor sind gekommen.“
Und
plötzlich waren sie da. Grellon zählte sechs. Mit gesenkten Häuptern, auf denen
sie große, spitze Hüte trugen, standen sie auf den Rängen zu beiden Seiten des
Rednerpults. Sie blieben eben so weit im Hintergrund, dass der Schein der
Kerzen sie nicht erfasste.
Kann hier
den niemand normal einen Raum betreten, dachte Grellon. Das mysteriöse Getue
ging ihm auf die Nerven. Der erste Farindor trat ins Licht.
„Ich bin
Horgus. Ich sage euch, das wird ein schlimmes Ende nehmen.“
Der Zweite
trat ins Licht. „Ich bin Nopogo. Warum hat man mich nicht informiert?“
Der Dritte
trat ins Licht. „Ich bin Straun. Ich sage euch, ihr solltet mich die Entscheidungen
treffen lassen.“
Der Vierte
trat ins Licht. „Ich bin Sulock. Können wir noch mal von vorn beginnen? Ich
will mir Notizen machen.“
Der Fünfte
trat ins Licht. „Ich bin Mofo. Nur weil es schwimmt, ist es keine Ente.”
Der Sechste
trat ins Licht. „Ich bin Findrack. Ich sage
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