Der Sommer des Commisario Ricciardi
allerdings fühlte er sich jetzt noch hungriger. Er hatte darauf bestanden zu bezahlen, obwohl die Händlerin ihm die schon überreifen Früchte schenken wollte. Die Abneigung gegen den Obsthändler Ciruzzo, seinen berüchtigten Widersacher, hatte dazu geführt, dass der ganze Berufsstand ihm gestohlen bleiben konnte.
Da er warten musste, konnte seine schlechte Laune sich nur noch verschlimmern. Das Bordell befand sich in einer Querstraße zum großen Viale Principessa Elena, also nicht in einer Durchgangsstraße. Er suchte sich ein schattiges Plätzchen unter einem Baum, etwa zehn Meter vom Hauseingang entfernt. Dieser war durch ein Messingschild mit der Inschrift »Casa Madame Yvonne« gekennzeichnet. Es herrschte ein reges Kommen und Gehen, und jeder Soldat, Matrose oder Angestellte, der das Etablissement betrat oder verließ, warf ihm einen halb spöttischen, halb beunruhigten Blick zu: Wieso stand dort unter dem Baum bloß ein uniformierter Beamter der Kriminalpolizei? Wollte er die Besucher des Hauses sondieren? Plante er eine Festnahme? Oder traute er sich bloß nicht, selbst hineinzugehen?
Schließlich traf auch Bambinella ein. Er trug Pfennigabsätze und ein eng anliegendes rotgeblümtes Kleid.
»Entschuldigen Sie, Brigadiere, ich musste zweimal Pause machen, um was zu trinken, die Hitze ist ja kaum auszuhalten.«
Maione hatte es eilig.
»Ja, ja, schon gut, lass uns gleich reingehen. Es fehlt nur noch, dass deine Freundin beschäftigt ist und wir zusammen im Wartesaal gesehen werden.«
Man betrat das Freudenhaus durch eine kleine Eingangstür aus Holz und weiter über eine steile Treppe. Oben wurden die beiden von einer alten Frau mit Eimer und Reisigbesen empfangen, die einen bereits blitzblanken Treppenabsatz fegte.
»Es wär ja auch ein Wunder, wenn man mal ungestört putzen könnte. Immer dasselbe Treiben, am Tag und inder Nacht«, murrte sie missmutig, während sie Platz machte, um sie vorbeizulassen. Maione verzichtete darauf klarzustellen, dass er zum Arbeiten hier war, warf ihr aber einen bitterbösen Blick zu, den sie erwiderte.
Ein langer Flur mit roter Seidentapete führte zu einem breiten Raum, an dessen Wänden Sessel und Sofas standen. Sein Zentrum allerdings bildete ein mächtiges Holzpult. Dahinter saß eine Frau mittleren Alters, die Haare in einem unnatürlichen Rotton gefärbt und derart stark geschminkt, dass es unmöglich gewesen wäre, sie morgens nach dem Aufwachen wiederzuerkennen. Als sie Maione und Bambinella hereinkommen sah, stand sie von ihrem Stuhl auf und ging ihnen mit finsterer Miene entgegen.
»Guten Abend, Brigadiere. Verzeihen Sie, doch ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass in meinem Hause nur meine Mädchen arbeiten. Wenn Sie etwas anderes wünschen, kann ich Ihnen jemanden zur Verfügung stellen, aber ich kann nicht erlauben, dass mitgebrachte …«
Maione unterbrach sie entschieden in ihrem Wortschwall:
»Entschuldigung, Signora, aber Sie haben da etwas missverstanden. Ich bin nicht zum Vergnügen hier, sondern dienstlich.«
Die Frau sah ihn besorgt an und trat einen Schritt zurück.
»Ich verstehe nicht. Mein Haus entspricht in jeder Hinsicht den Vorschriften, ich zahle Steuern, es gibt Gesundheitskontrollen. Sie können gerne unsere Bücher einsehen, wenn Sie sich überzeugen …«
Maione wurde ungeduldig.
»Jetzt beruhigen Sie sich bitte und hören erst einmal zu.Wer verlangt denn etwas von Ihnen? Ich möchte nur mit einem Fräulein sprechen, das laut Angabe dieses Herrn …« – dabei wies er auf Bambinella, der richtigstellte: »Fräuleins« – »hier arbeiten soll«.
Die Frau sah angewidert zu Bambinella und wandte sich dann erneut an Maione.
»Wieso? Hat eins meiner Mädchen etwas ausgefres-sen? Ich kann Ihnen versichern, dass hier drinnen alles strengstens kontrolliert wird, was allerdings draußen passiert, dafür …«
Der Brigadiere erwog ernsthaft, den Abdruck seiner fünf Finger auf dem dick geschminkten Gesicht der Puffmutter zu hinterlassen.
»Hören Sie, Signora, niemand hat hier irgendetwas angestellt. Es sei denn, ich gelange gleich zu der Überzeugung, dass Sie absichtlich eine polizeiliche Ermittlung behindern, denn dann kassiere ich Sie, Ihre Mädchen und die unverschämte Aufseherin da draußen ein und lasse Sie ein wenig im Knast meditieren.«
Das hatte gesessen; die Frau senkte den Kopf, als hätte man sie geohrfeigt.
»Zu Ihren Diensten, Brigadiere«, sagte sie gefügig.
Ricciardi hatte das Eingangstor nach
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