Der Sommer des glücklichen Narren
Schnitt.«
Die Resl betrachtete zweifelnd das superschmale Fotomodell auf dem bunten Bild. »Wannst meinst …«, murmelte sie nicht ganz überzeugt.
»So is und net anders«, griff ihr Vater ein, »kannst as sehen, wannst nach München einikemmst. Vornehm is immer einfach. Hab ich euch schon oft gesagt. Aber ihr wißts ja alls besser. Und jetzt schleich di, i hab no mit'm Sepp z'reden.« Ja, das habe ich noch vergessen zu erwähnen. Für den Andres heiße ich Sepp. Das stammt noch aus dem Krieg. Wir waren damals die einzigen Bayern bei einer norddeutschen Einheit. Das heißt, der Andres war schon vor mir da. Und als ich dann hinkam, hieß es: »Jetzt kriegen wir noch so 'n Seppl.« Vor Andres' Fäusten hatten sie Angst, aber mich nannten sie ungeniert Seppl vom ersten Tag an. Und der Andres glaubte lange Zeit, ich hieße wirklich so. Und dabei ist es geblieben.
Vor dem Mittagsläuten verabschiedete ich mich. Die Mali wollte zwar, daß ich zum Essen bliebe, aber ich lehnte ab. Erstens hätte ich wirklich nichts mehr essen können, und zweitens mußte ich nun doch mal ernsthaft versuchen, was zu arbeiten.
Das tat ich denn auch die nächsten drei Stunden. Und brachte sogar ein ganz respektables Kapitel zusammen. Dann streckte ich mich, ging vors Haus, wo Dorian faul im Schatten lag, noch müde von unserem Morgenritt. Totenstill war es hier, nicht einmal die Vögel sangen.
»Schön warm, Dorian, was?« sagte ich, bloß um einen Ton zu hören. Warm war mir wirklich beim Schreiben geworden. »Eigentlich könnten wir baden. Was meinst du? Wollen wir's versuchen?«
Ich zog die Badehose an und lief mit Dorian das Stück Weg durch den Wald zu meinem kleinen See.
»Verflixt«, sagte ich, als ich den Fuß ins Wasser steckte. Die Nächte waren eben noch kühl, und hier in den Wald kam nicht allzuviel Sonne. Aber nun gerade.
Ich biß die Zähne zusammen, tauchte hinein, schwamm mit kräftigen Stößen zum anderen Ufer, wendete und kraulte zurück. Dorian paddelte immer tapfer neben mir her.
Schön war's gewesen. Das würde ich nun jeden Tag machen. Wir liefen beide im Trab nach Hause zurück, rubbelten uns ab und legten uns in die Sonne.
Nach einer Weile stand ich wieder auf, kochte mir Kaffee, nahm ihn mit hinaus an meinen Liegestuhl und las noch einmal den Brief von Lix, den mir der Briefträger diesen Morgen gebracht hatte.
»Lieber Paps«, schrieb meine Tochter, »ich war sehr böse, daß Du wieder abgefahren bist, ohne mich zu treffen. Mami sagt, ich müsse das verstehen, und wir würden uns bald sehen. Kommst Du bald wieder mal nach München, oder soll ich nächstes Wochenende zu Dir hinauskommen? Darf Dolly dann mitkommen? Sie sagt, sie sieht nicht ein, wenn ich zwei Väter habe, warum sie nicht auch zwei Väter haben soll. Ganz richtig ist es ja nicht. Denn sie hat ja dafür zwei Mütter, nicht? Und Frau Boll auch noch. Die habe ich zwar jetzt auch. Mami und Onkel Conny sind in Paris. Schick, nicht? Wenn ich größer bin, darf ich mal mitfahren, hat Mami gesagt. Hat Dir Muni erzählt, daß ich in Mathe eine Eins geschrieben habe? Dafür im deutschen Aufsatz eine Fünf. Komisch, nicht, daß ich Dein Schreibtalent gar nicht geerbt habe. Aber mir fällt immer nichts ein. Das Thema hieß: Wenn der Sommer ins Land zieht … Was soll man denn da schon groß schreiben? Wenn es Sommer wird, wird es eben Sommer. Du könntest sicher viel dazu schreiben. Schade, daß Du nicht hier bist, dann könntest Du mir bei so was wie Aufsatz helfen. Wenn wir wieder mal einen Hausaufsatz kriegen, komme ich zu Dir raus, ja? Überhaupt wünsche ich mir oft, im Waldhaus zu sein, jetzt wo das Wetter so schön ist. Wir haben ja hier auch einen schönen Garten. Aber so richtig wie draußen ist es eben nicht. Aber wir kriegen einen Swimming-pool, das hat uns Conny versprochen, ist doch prima, nicht? Lieber Paps, schreibe mir doch auch mal. Dolly läßt Dich grüßen. Und ich grüße Dich viel tausendmal Deine Lix.«
Ich hatte den Brief schon mindestens sechsmal gelesen. Meine Tochter lebte nun also in einer feinen Villa und bekam einen Swimming-pool. Und in einigen Jahren würde sie auch Kleider von Monsieur Charleron beziehen. Momentan hatte sie noch Verwendung für mich, ich könnte ihr beim deutschen Aufsatz helfen. Später dann … Nun ja, es war müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Rosalind würde willentlich nie etwas tun, um mir meine Tochter zu entfremden. Das kam ganz von selbst. Sie lebte jetzt in einer
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