Der Sommer des Kometen
wenige Tage vor der Hochzeit die Frau von der englischen Insel Jersey, die nun die Herrin des Hauses Herrmanns war. Sie war so ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte. Er bemühte sich, Fehler zu entdecken, aber außer der etwas zu spitzen Nase und dem etwas zu großen Mund, der allerdings wunderbar lachen konnte und im richtigen Moment auch zu schweigen wusste, außer einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber der steifen Hamburger Würde, die sein Vater ab und zu hervorkehrte, außer ihrer wirklich ganz und gar unweiblichen Leidenschaft für den Handel und die neuesten Entwicklungen der Technik, hatte er nichts gefunden. Und all diese Fehler, so fand er im Gegensatz zu vielen Hamburgern, waren eigentlich Vorzüge.
Sosehr er sich zu Anfang auch dagegen wehrte, Christian hatte seine neue Stiefmutter vom ersten Tag an gemocht. Einen Moment lang dachte er, vielleicht könnte sie, die wie die Stedemühlens in England gelebt hatte, viel besser als sein sturer Vater in diesem Drama vermitteln. Er würde die ganze Geschichte beim Abendessen sowieso noch einmal erzählen müssen.
Claes Herrmanns schlenderte mit seiner Frau und seinem Sohn an der Alster entlang die letzten Schritte bis zu seinem Landhaus. Gleich am nächsten Vormittag wollte er nach Altona hinüberfahren. Er würde die schwarz polierte neue Kutsche anspannen lassen, mit Paul St. Roberts’ Hochzeitsgeschenk für seinen alten Freund und neuen Schwager: den vier elegantesten Füchsen, die jemals in Hamburg gesehen worden waren.
Er blieb stehen und bewunderte durch ein Loch in der Hecke die in diesem Jahr besonders prächtigen Sonnenblumen in Böckmanns Garten, als Anne zu Eile gemahnte: Elsbeth und Blohm warteten gewiss schon ungeduldig, endlich das Abendessen aufzutragen. Blohm sei ein wenig grämlich aus der Stadt gekommen, aber das liege wohl nur am Wetter.
Claes runzelte die Stirn. Der Diener war alt genug, um ab und zu ein wenig verstimmt zu sein, doch es war etwas anderes, wenn er seine Herrschaft das spüren ließ. Vielleicht wäre ein wenig mehr Hausherrnstrenge angebracht. Anne erriet seine Gedanken. «Gib dir keine Mühe, mein Lieber», sagte sie lachend. «Ob du ein strenges Gesicht machst oder nicht, kümmert die beiden kaum.»
Blohm, seit Jahrzehnten Claes’ Diener und offizieller oberster Wächter des Haushaltes, und Elsbeth, die Köchin und tatsächliche Herrin, erwarteten ihn wirklich mit kaum verhohlener Ungeduld. Beide gehörten seit vielen Jahren zu seinem Haus. Elsbeth war, noch bevor sie über den Eichentisch vor dem Herdfeuer im Großen Wandrahm gucken konnte, vom Waisenhaus als Küchenhilfe vermietet und nie in das elende Asyl bei den Kajen, das nichts anderes als ein Arbeitshaus für Kinder war, zurückgeschickt worden. Sie war eine Meisterin der feinen Küche und der Kräuter- und Gemüsezucht. Inzwischen weit in den Dreißigern, hatte sie das Leid ihrer ersten Kinderjahre doch nie vergessen. Wie ihre Vorgängerin, deren Platz sie schließlich eingenommen hatte, holte auch sie alle Jahre zwei der dünnen hustenden Kinder aus den verlausten Sälen, päppelte sie auf und vermittelte sie, wenn sie genug gelernt hatten, an eine ordentliche Familie. Sie war mollig, spitzzüngig, selbstbewusst und energisch, aber dem Herrmanns’schen Haus, das sie als einzige und zudem wunderbare Heimat betrachtete, treu ergeben. Erst im vergangenen Sommer hatte sie zum ersten Mal ernsthaft an eine Ehe gedacht, aber er hatte sie dann doch nicht gefragt, und Elsbeth wusste nicht, ob sie darüber traurig oder erleichtert war.
Und Blohm? Der war schon ein Mann mittleren Alters gewesen, als er aus den Marschen kam und in den Dienst der Familie trat. Er sprach nie darüber, wie er Claes, damals noch der junge Herr ohne den geringsten Flaum am Kinn, kennengelernt hatte, und warum der alte Herrmanns ihn von dem Hof, auf dem er als Leibeigener lebte, freikaufte. Überhaupt sprach Blohm nicht viel, und manchmal befürchtete Elsbeth, er werde eines Tages noch ganz verstummen.
Auch nun sagte er nichts. Als er seinen Herrn wohlbehalten die Auffahrt heraufkommen sah, drehte er sich mit einem Schnaufer, der eher ärgerlich als erleichtert klang, um und verschwand eilig in der Küche. Blohm, vertraute Elsbeth später Anne an, habe sich Sorgen gemacht, als die Herrschaften so lange ausblieben. Der Fremde auf dem Gänsemarkt, berichtete sie, spreche nämlich von einem mächtigen Donner, der über dem Herrn unter dem Glockendach lauere. Was er damit meine,
Weitere Kostenlose Bücher