Der Sommer des Kometen
dass auf den Dächern, besonders der hohen Häuser und der Kirchtürme, Blitzableiter eingerichtet werden.»
«Mon dieu»
, stöhnte van Witten und fragte sich zum ersten Mal, ob es klug gewesen war, den jungen Bode mitzubringen, «ein gelehrsamer Abend! Was ist ein Blitz…, wie habt Ihr gesagt?»
«Blitzableiter. Eine neue Erfindung. Eigentlich nicht ganz neu, sie ist nämlich schon etliche Jahre alt, aber noch sehr wenig bekannt. Monsieur Franklin in den nordamerikanischen Kolonien hat sie erfunden. Sie schützt vor der Feuerkraft der Blitze und verhindert die Brände, indem sie die Elektrizität einfängt und über eine kupferne oder bleierne Leitung vom Dach und an der Hauswand entlang in die Erde, am besten in einen Bach oder ein anderes Wasser leitet. In Hamburg mit den vielen Fleeten und Flüssen ist es besonders einfach. Man muss nur …»
In diesem Moment brachte Blohm das Dessert, große Schalen mit gezuckerten Erdbeeren und halbgeschlagener Sahne und eine Platte mit Butterzimtwaffeln und Weinmus. Besseres hatte Elsbeth in der Kürze der Zeit und bei der großen Zahl der unerwarteten Gäste nicht zaubern können.
Anne musste mit ihrem Lieblingsthema wieder einmal warten. Aber sie war sicher, dass es ihr schließlich gelingen würde, Verbündete zu finden und selbst Claes zu überzeugen, der, was den Blitzableiter betraf, um keinen Deut besser war als Paul. Dabei warteten die vielen hohen Kirchtürme Hamburgs nur darauf. War St. Michaelis nicht erst vor einigen Jahren, durch einen mächtigen Blitz entzündet, bis auf die Grundmauern niedergebrannt?
Als die letzte Weinkaraffe geleert war und Blohm den Branntweinkrug und die Pfeifen weggeräumt hatte, machten sich Bocholt, Kosjan, van Witten und Bode in dem Zweispänner wieder auf den Weg zurück in die Stadt. Es war spät geworden, und die Tore waren längst geschlossen. Der Himmel war verhangen, nur wenige Sterne schimmerten durch die Wolkendecke. Aber für den Himmel und seine geheimnisvollen Reize blieb ohnehin keine Zeit. Sie mussten sich beeilen, jetzt konnten sie noch für eine teure Gebühr samt Pferd und Wagen das Dammtor passieren, aber es ging auf Mitternacht, und danach öffneten die Wachen für niemanden, ob Bettler oder Potentat, eines der Hamburger Tore.
Erst als van Witten vor seinem Haus in der Steinstraße aus Bocholts Wagen kletterte, fiel ihm auf, dass Herrmanns’ Sohn an diesem doch so anregenden Abend ungewöhnlich schweigsam gewesen war.
7. Kapitel
Samstag, den 14. Junius,
vormittags
Christian schreckte aus tiefem Schlaf. Sein Haar war schweißnass, und in seiner Kehle würgte ein erstickter Schrei. Er hatte geträumt, und auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte, spürte er noch einen Rest von Entsetzen. Es musste ein furchtbarer Traum gewesen sein.
Durch das weit geöffnete Fenster drang das kecke Lied einer Amsel, die im Birnbaum saß, um das erste Licht des Tages zu begrüßen, und der zarte Duft des Jasmins von der Terrasse holte ihn endgültig in die reale Welt zurück. Im Haus herrschte tiefe Stille. Bis zum Frühstück dauerte es noch mindestens zwei Stunden, aber an Schlaf war nun nicht mehr zu denken, also kleidete er sich an, schlich leise die Treppe hinunter, trank in der Küche einen Schluck Milch aus der Kühlkammer, riss ein ordentliches Stück von dem Brotlaib, der in ein Leintuch gewickelt in der Tonschüssel auf dem Tisch stand, und ging hinaus zum Stall. Tau glitzerte matt auf dem Gras, bald würde die Sonne aufgehen und die Frische des Morgens vertreiben. Es war schon warm, in diesen Tagen kühlte es selbst hier draußen am See niemals richtig ab, aber immer noch frisch genug für einen scharfen Ritt. Er spürte die Morgenluft wie ein belebendes Elixier in seinem ganzen Körper, er brauchte Bewegung und Geschwindigkeit, Wind im Gesicht und das heftige Klopfen des Herzens.
Er ließ den Pferdejungen in seiner Kammer über dem Stall schlafen, gab seiner Stute, die ihn freundlich schnaubend begrüßte, die Hälfte des Brotes, und sattelte sie eilig. Aus dem Hof führte er sie zum unteren Fahrweg, der an der Alster entlang durch die Wiesen nach Norden führte, sprang in den Sattel, und als hätte die Stute nur darauf gewartet, galoppierte sie sofort los.
Er ritt bis zum Eichwald bei der Krugkoppel, wo die Alster vom langgestreckt aufgestauten See wieder zum Fluss wurde. Unwillig fügte sich die Stute in den Halt, und er blickte atemlos zurück. Wenn man von Altona kam, sah die Stadt hinter den
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