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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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wenn eine Familie nicht aus Vater, Mutter, Kind bestand. Unter der Obhut von Else hatte Mutter gelitten, das hat sie mir erzählt, und ich erinnere mich gut an die penible Ordnung, die Spitzendeckchen und Seidenüberzüge auf den Essstühlen im Speisezimmer der Wohnung gegenüber dem Belvedere in Wien. Ich war froh gewesen, wie unkompliziert Mutter den Haushalt führte. Unsere Wohnung im Speisen-Hof war voll gewesen mit Pflanzen aller Art, wie dem wuchernden Philodendron im Wohnzimmer und den Tomatenstöcken und Gewürzsträuchern auf dem Balkon. Diese Pflanzen waren lebendig, standen im Gegensatz zu Tante Elses Kunstrosen aus Seide, die in einer mit Schmetterlingen bemalten Vase den Erker zierten, von dem man aus die beste Sicht in den Verlauf der Straße hinauf zum Südbahnhof und hinunter zum Schwarzenbergplatz hatte. Niemand betrat den Erker aus Angst, die Rosen vom Biedermeiertischchen zu stoßen, und vielleicht lag es auch in der Absicht Tante Elses, die Sicht nach außen zu verstellen. Ihre Welt war die Wiener Gründerzeitwohnung gewesen, die sie selten verließ. Die nötigen Einkäufe erledigte die Haushälterin Bertha, die Else schon seit Jahren treu begleitete. Sie litt an Rheuma, das hatte Mutter, als ich danach fragte, woher Bertha denn diese verknoteten Finger habe, erzählt. Ich empfand es als Zumutung, sie in der Küche mit dem schweren altmodischen Bügeleisen hantieren zu sehen. Bertha erweckte jedoch den Eindruck, sie arbeite gerne in ihrem Refugium, das im hinteren, dem Hof zugewandten Teil der Wohnung lag, getrennt durch einen langen Gang und eine kleine, weiß gestrichene Türe, die sich von den anderen in der Größe deutlich unterschied. Bertha bewohnte eine niedrige Wohnung drei Stockwerke tiefer, im ehemaligen Dienstbotentrakt, doch immer wenn wir zu Besuch kamen, war sie da, und ich kann mich nicht erinnern, dass Tante Else jemals selbst den Tisch gedeckt oder Tee und Kekse serviert hätte. Bertha, die mittelgroße grauhaarige Frau, scheinbar anspruchslos und mit der leisen Unaufdringlichkeit von Hausangestellten, schien für mich wie aus einer anderen Zeit übrig geblieben und kein wirkliches Eigenleben zu haben, bis sie mich zu sich auf den Küchenbalkon einlud. Dort getraute ich zu fragen, wo sie herkomme und ob sie Kinder habe. Sie erzählte freimütig, dass sie bereits vor dem Krieg in Wien als Haushälterin gearbeitet und dann eine Zeitlang ihre Eltern in der Südsteiermark bei Bad Radkersburg betreut hatte, von deren kleinem Bauernhof, mit einem Schwein, Gänsen und Hühnern, sie 1945 vertrieben worden sei. Ich erfuhr von Bertha, wie ich sie dann nennen durfte, dass ihr Verlobter in Russland verschollen war. Das brachte ich sofort mit Vater und seinem Bruder Edgar in Verbindung, von denen ich wusste, dass sie in Moskau gewesen waren und um ein Haar nicht mehr zurückgekommen wären. Von da an flüchtete ich mich, was Tante Else nicht besonders gefiel, zu Bertha in die Küche, sobald ich vom Tisch aufstehen durfte. Sie zeigte mir, wie man eine Torte mit Schokolade glasierte, Kastanienreis zubereitete oder Servietten zu Figuren faltete, alles Dinge, die ich bei Mutter nie gesehen hatte. Ich erinnere mich an die förmlichen Mittagessen bei Heinrich und Else, mit gestärktem Leinentischtuch und geputztem Silberbesteck. Es war ein festgesetztes Ritual, an dessen Ablauf man nicht rütteln durfte, das aber in seiner Steifheit, trotz der wunderbaren Wienerschnitzel mit Kartoffelsalat, die aufgetragen wurden, für mich unerträglich war, vor allem weil die Mahlzeiten schweigend eingenommen wurden. Es war vorhersehbar, dass sich Vater und Onkel Heinrich beim Kaffee wegen ihrer konträren politischen Ansichten streiten würden, und alle Bemühungen von Mutter, die Unterhaltung auf harmloseres Terrain zu führen, erst recht die Kampflust der beiden von Neuem anfachen konnten. Spannung lag in der Luft, selbst wenn es um harmlose Themen wie den Prater oder die Lipizzaner ging, von denen man dann mit Leichtigkeit auf den sozialen Wohnbau im Wien der Zwanzigerjahre und die Arbeiteraufstände oder die versteckte Kaisertreue der Heimwehr unter Dollfuß umschwenken konnte. Onkel Heinrich hatte seinerzeit geglaubt und daraus machte er auch Vater gegenüber kein Hehl, dass Österreich unter Dollfuß wieder zu einer starken Nation hätte aufsteigen können, einem Land, das, an christlichen Werten orientiert, auch für andere europäische Nationen ein Vorbild hätte sein können, die ihre Ideale an den

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