Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman
Sozialismus und Kommunismus verraten hätten. Schuld am Anschluss an das Dritte Reich seien die Sozialisten selbst gewesen, die zu Hitler übergelaufen wären. Ich hatte damals nicht viel Ahnung von Politik, doch mich interessierte, welche Gegensätze hier aufeinanderprallten, und ich bat Vater, mir mehr zu erzählen. Auf unseren gemeinsamen Spaziergängen und Ausflügen versuchte er dann, mir die Ziele der Arbeiterbewegung zu erklären. Immerhin hatten sein Vater und Großvater für diese Überzeugungen gekämpft. Zu Hause sprach er selten davon, doch Onkel Heinrich warf er es bei seinem letzten Besuch an den Kopf, und so war der Abschied aus der Wohnung neben dem Belvedere damals abrupt ausgefallen, als Vater dem Onkel entgegenschmetterte »Heinrich, Du bist und bleibst ein elender Faschist«, worauf Heinrich erwiderte, Vater solle sich nicht so aufregen, denn er stecke doch völlig gläubig in den Untiefen der roten Ideologie. Anschließend ging Vater mit Mutter und mir durch den Park des Schlosses Belvedere und fragte uns, woher all diese Pracht stammen würde, um dann entrüstet über die Treppen der barocken Anlage hinauszurufen »Jahrhundertelange Ausbeuterei«. Mehrmals rief er das aus vollem Hals, bis sich erstaunte Besucher umdrehten und uns mit neugierigen Blicken musterten. Onkel Heinrich hätte ihn bei offenem Fenster hören können. Mutter war die Szene unangenehm, doch war auch Einverständnis und Amüsement in ihren Augen lesbar.
Die Umrandung für das Frühbeet werde ich heute noch ausbessern und die Blumensamen sähen, die ich letzte Woche in der Gärtnerei gekauft habe, denn sonst ist es zu spät für die Malvenblüte in diesem Jahr, und ich möchte gerne Tee für den Winter ziehen. Phillip hat für diese Arbeiten keinen Sinn, und selbst wenn ich ihm zeige, wie er es machen soll, fällt ihm eine Ausrede ein, um es nicht zu tun. Theo, unser italienischer Jagdhund, ist schon ganz unruhig, ich werde zuerst mit ihm eine große Runde drehen, denn der kurze Auslauf am Morgen vor dem Frühstück war ihm nicht genug, er braucht Bewegung und auch die Eindrücke, die er beim Herumlaufen sammelt, anschließend kann er wieder wohlig und zufrieden in seinen Hundeschlaf verfallen. Mutter hat mir als Mädchen manchmal von ihrem Hund Prinz erzählt, den sie nicht mit nach Wien hatte nehmen können. Sie wollte später keinen Hund mehr, selbst als ich einmal versucht hatte, sie zu überreden, wenigstens einen Dackel anzuschaffen. Ich bat Mutter eines Tages, mich zu einer Schulkollegin nach Hause zu begleiten, deren Hündin sieben Welpen geworfen hatte. Als Mutter und ich dann ohne einen der Welpen die Wohnung wieder verlassen hatten, begann sie, nachdem wir um die Ecke des nächsten Wohnblocks gebogen waren, loszuschimpfen. »Was bildest Du Dir überhaupt ein, Du hast doch gar keine Zeit, Dich um den Köter zu kümmern.« Das würde sie dann übernehmen müssen, und der Hund würde sich auf sie fixieren, das nun wieder wolle sie ganz und gar nicht. Ich war damals sprachlos gewesen über die Vehemenz, mit der sie mir das gesagt hatte, und hütete mich von da an, meinen Wunsch nach einem Hund nochmals zu äußern.
ICE Basel-Frankfurt Juni 2011
Das letzte Mal bin ich diese Zugstrecke gefahren, als ich von Frankfurt nach London geflogen bin, um Lena zu besuchen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann der Rhein das erste Mal in Sicht kommt, vielleicht in Mannheim. Die Wiesen zwischen den Ortschaften sind braun gestreift von der ausgebrachten Jauche. Das bedeutet sicherlich wieder schlechtes Wetter, das mich langsam zermürbt, denn der ganze Frühling ist kalt und regnerisch gewesen. Ich hasse den Gestank nach Gülle, er hat mir die Ausflüge aufs Land oft versauert. Wenn der Regen nicht so schnell kam, wie die Bauern erhofft hatten, verbrannten die grünen Flächen und der beißende Geruch ließ erst nach Tagen wieder nach. Es blieb das Gefühl von Schmutz in den Kleidern, Schmutz in den Haaren, Schmutz am ganzen Körper. In diesem eintönigen Grün wachsen keine bunten Blumen, nur mehr das einförmige Gelb des Löwenzahns zwischen der dumpfen Farbe der Kleeblätter, alle zarten Farbabstufungen, die früher in den Blumenwiesen zu sehen waren, sind verschwunden. Paul hat als Bildschirmschoner auf seinem Computer das Bild einer unwirklich blumenleeren Wiesenlandschaft, doch das Grün ist tot und es hat einige Anläufe gebraucht, bis er endlich begriffen hat, was mich daran stört. Ich werfe ihm seine Blindheit nicht
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