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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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den Tod ihres Vaters sprechen wollte. Wir haben uns dann böse Dinge gesagt, und sie glaubt bis heute, dass ich Max damals mit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung umgebracht habe. Dabei wollte ich Lena und ihren Vater voreinander schützen. Es war ihm peinlich gewesen, dass seine Tochter seinen Zusammenbruch mitbekam. Er wollte seine durchwachten Nächte, seine Albträume, die tiefer werdende Verzweiflung vor uns und vor allem vor ihr verbergen. Lena hatte ihren Vater am Mittagstisch oft nur ratlos angestarrt und Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen. Sie versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, sperrte sich stundenlang in ihrem Zimmer ein, bis sie dann dazu überging, sich tageweise bei Tante Anna oder ihrer Freundin Klara einzuquartieren. Mit deren Eltern hatte ich einmal telefoniert und ihnen in Andeutungen davon erzählt, was mit Max los war, nicht ohne das schale Gefühl, ihn damit verraten zu haben. Den Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hatte ich, lange bevor wir dann umgezogen sind, mit Max besprochen. Dank Karl Jagbauer, »dem Herrn Pfarrer«, wie Lena und ich ihn nannten, weil er jeden Sonntag Vormittag zu einem Kaffee bei uns vorbeischaute, hatten wir einen Psychiater genannt bekommen, der sich um Max kümmerte, und Max akzeptierte ihn wider meine Erwartungen. Er wusste durch Jagbauer um Maxens Vergangenheit, vom Tod des Großvaters während der Februaraufstände und von Maxens Verschickung in die Sowjetunion. Der Psychiater und Jagbauer hatten mir geraten, eine andere Wohnung zu nehmen, zumindest so lange, bis Max sich erholt habe. Schließlich habe ich nachgegeben, gegen meinen Instinkt, auch weil Max mich damals darum gebeten hatte. Er sagte, er würde darunter leiden, täglich in unserem Beisein zu versagen. Nach ein paar Sitzungen hatte dann der Doktor Max in den Steinhof überwiesen. Von dort sollte er nicht mehr zurückkommen.
    Die Berge des Schwarzwalds ziehen vor blauem Himmel vorüber, und ich bilde mir ein, am Fuße des Hochblauen ein paar Häuser zu sehen, die zu Badenweiler gehören. Dorthin habe ich Alexander zur Erholung gebracht, wir dachten, das Klima und das Baden in den Cassiopeia-Thermen würden ihm guttun. Es waren beschauliche Wochen mit kühlem und strahlendem Wetter. Über allem lag ein Duft nach reifem Obst und gemähten Wiesen, und wir genossen die Aussicht bis zu den Vogesen, die nach einem kurzen Regen manchmal selbst die kleinsten Konturen der Landschaft in tiefen satten Farben erkennen ließen. Es war der letzte Herbst, den wir miteinander verbrachten, nur wussten wir das damals noch nicht. Kurz war mir der Gedanke gekommen, dass ich nicht ohne ihn weiterleben wollte, und vielleicht haben wir beide den nahen Abschied geahnt. Alexander hatte im Sommer davor eine Lähmung an der rechten Unterlippe und am linken Fuß überstanden, sie war nach einem Tag wieder verschwunden. Doch es war, als hätten wir in seinem hängenden Mundwinkel, aus dem Speichel floss, dem nahenden Tod ins Angesicht geblickt. Auf Spaziergängen im Ort und auf den weit ausschwingenden flachen Waldwegen haben wir uns Begebenheiten aus unserem Leben erzählt, die wir vorher in den Jahren im »Grünen Haus« gar nicht oder höchstens am Rande erwähnt hatten, weil wir unsere Freundschaft nicht durch Geschichten aus unseren früheren Leben beschweren wollten. An den Abenden auf der Terrasse des Hotels habe ich Alexander von den Umständen von Maxens Tod erzählt, habe meine Beziehung zu Lena beschrieben, manchmal unter Tränen, die ich zu verbergen versuchte. Wir saßen nebeneinander, manchmal legte Alexander seine Hand auf die meine, und wir sprachen, bis am Himmel das orange Licht des Abends in das Blau der Nacht überging und das funkelnde Geglitzer der Lichter im Tal und das Züngeln der Flammen einer Raffinerie auf der französischen Seite des Rheins zu sehen waren.

Kapfenberg August 1934
    Im August des Jahres 1934 verließ ein Zug langsam den Bahnhof Bruck an der Mur in Richtung Wien. Max und Edgar beugten sich, soweit sie konnten, aus dem Fenster, um das heftige Winken ihrer Mutter zu sehen. Im schwarzrauchigen Ruß der Lokomotive glitten draußen die letzten vertrauten Häuser und der Schlossberg vorbei, an dessen Hängen noch die Einschusskrater der Kämpfe vom Februar sichtbar waren. Eduard hatte sich neben den Herrn gesetzt, der den Kindern die Rucksäcke abgenommen hatte, zwei Mädchen und vier Buben, alle drängten sich in die Bänke und redeten durcheinander. Sie hatten ihre Mütter und

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