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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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angenommen hatte, zur härteren Behandlung durch die Wächter führte. Nach zwei Wochen war er krank geworden, zuerst Fieber, dann Durchfall, hatte selbst die dünne Suppe und die wenigen Kekse nicht mehr behalten können. Bevor der Transport weiterging und sie in Southampton britischen Boden betraten, war er wieder auf die Beine gekommen. Er hatte inzwischen fast zwei Jahre in England ausgehalten und seither drei Lager durchlaufen. Die Bedingungen waren nur langsam besser geworden, in den Holzbaracken ließ es sich einigermaßen menschenwürdig leben, doch die ungewisse Zukunft hatte alle lethargisch gemacht. Nach dem Zusammenleben auf engstem Raum mit hundertfünfzig Männern würde am nächsten Morgen, wenn die meisten auf andere Lager verteilt würden, ein weiterer Abschnitt in ihrer Gefangenschaft beginnen. Er wollte endlich Ruhe vor diesen Kerlen, die in den letzten Monaten hier das Kommando übernommen und versucht hatten, im Verborgenen die Dienstgrade der Wehrmacht und die Hierarchie der Partei wieder einzuführen. Nachdem Hans letzten Monat erhängt in einer Latrine gefunden worden war, getraute sich niemand mehr dazwischenzugehen, wenn sie erzählten, wie sie polnische Juden erschossen hatten und die auf die Hinrichtung Wartenden zwangen, sich auf die bereits in den Gräbern liegenden Toten zu legen.
    Max saß in der Kälte des Abends und war sich nicht sicher, ob die restlichen Nazis mit ihm machen würden, was sie mit Hans gemacht hatten. Sie hatten Hans gefesselt, dort hinter der Schlafbaracke, wo die Engländer sie nicht gleich entdeckten. Sie hatten sich ihn gegriffen, als alle anderen Gefangenen in der Werkbaracke an der Arbeit waren. Hans hatte zuvor ihre beiden Anführer beschimpft, hatte gedroht, er würde sie dem Kommandanten melden, wenn sie noch weiter mit ihren Grausamkeiten aus dem Krieg angeben würden. Ein englischer Soldat hatte ihn dann gefunden, mit abgeschnittener Zunge. Clemens und die anderen würden sich nicht an Max vergreifen, denn die Rädelsführer waren in die Gefängnisbaracke gebracht worden, alle, und der Kommandant hatte angekündigt, dass ihnen der Prozess gemacht würde. Es war unklar, woher die Engländer so genau Bescheid wussten, wer beteiligt gewesen war. Im Lager erzählte man, es gäbe Spitzel, die haarklein alles weiterleiteten, was geredet wurde. Die Spannung zwischen den Männern war in den letzten Tagen dadurch noch weiter angeheizt worden, jeder misstraute jedem, und die Aufregung vor der Veröffentlichung der Verlegungslisten war kaum zu ertragen gewesen. Max war froh, als Feldarbeiter ganz in der Nähe des Dorfes eingeteilt worden zu sein. Clemens und der Rest des Nazigesindels würde nach Schottland verlegt werden, die Männer munkelten, sie kämen in ein Speziallager. Vor zwei Tagen waren allen Gefangenen die Notizbücher abgenommen worden, auch die mühsam gehorteten Schreibutensilien, wie Bleistifte und Federn, mit der Ankündigung, sie würden wieder neues Material erhalten. Daran konnte Max noch nicht so recht glauben.
    Er dachte an Wien, an Margarethe. Die Russen waren weit nach Westen bis in die Wachau und sogar bis Knittelfeld vorgedrungen. Er wollte gar nicht daran denken, was geschehen war, wenn Margarethe es nicht geschafft hatte, sich in die Besatzungszone der Engländer oder Amerikaner zu retten, denn die Russen hätten vor keinem Rock Halt gemacht, hieß es. Er hatte keine Nachricht von ihr bekommen und er befürchtete das Schlimmste. Er traute den einfachen Landsleuten seiner ehemaligen Gastgeber alles zu und erinnerte sich an die gegerbten Gesichter der Landarbeiter, die mit starrem Blick dem Zug nachgesehen hatten, als er mit den anderen Schutzbundkindern vom Ferienlager am Schwarzen Meer zurück nach Moskau gefahren war. Das war im Herbst1934 , zu Beginn ihres Aufenthaltes in diesem großen, unbegreiflich weiten Land, in dem sich Max bis zum Schluss fremd fühlen sollte. Er überstand die Jahre in Moskau nur, weil er sich an den Wiener Mathematiklehrer und dessen Frau in der deutschen Schule geklammert hatte, die ihn und Edgar wie ihre eigenen Kinder behandelten und auch wegen Wanja, dem Sohn des Schulwarts, der zwei Jahre älter war als er. An ihm hatte er sein Schulrussisch erprobt, als sie gemeinsam in der Stadt unterwegs waren. Was wohl aus Wanja geworden war, der unbedingt Technik studieren wollte?
    Seit Monaten hatte niemand im Lager Post bekommen. Keiner hatte Antwort auf die Briefe erhalten, die er nach Hause geschrieben hatte.

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