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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Stadtviertel innerhalb kürzester Zeit vernichtet hatten. Angeblich sei es dort so heiß gewesen, dass der Asphalt in den Straßen zu kochen begonnen habe. Österreich sei arg zerstört. In Graz und Wien hätten die Alliierten es in den letzten Kriegswochen hauptsächlich auf die Bahnlinien und Industrieanlagen abgesehen gehabt, aber die Bomben seien auch auf Wohnviertel niedergegangen, viele Tote auch unter den Zivilisten. Im Arenbergpark seien zwei weitere Flaktürme aufgestellt worden, alle in Wien redeten von der sicheren Verteidigung durch die sechs über die Stadt in strategischer Position verteilten Türme, doch was genau zerstört war, konnte der junge Bursche aus Simmering, der kurz vor der Matura freiwillig eingerückt und an der Westfront eingesetzt worden war, nicht sagen. Nachdem seine beiden älteren Brüder bereits gefallen waren, hatte er es nicht mehr ertragen, zur Schule zu gehen. Sein Vater sei in Afrika in Kriegsgefangenschaft geraten und an einer Seuche im Lager in Ägypten gestorben, die Mutter unter den Trümmern ihres Wohnhauses begraben worden, während er in einem Bunker gemeinsam mit seiner Klasse überlebt hatte. Irgendwann nach der ersten Neugier hatte Max dann aufgehört, die Neuankömmlinge nach den Zerstörungen in Österreich zu fragen, er wollte gar nichts mehr wissen und gab sich mit den Nachrichten zufrieden, die ihnen von der Lagerleitung zukamen. Damals hatten die schlaflosen Nächte begonnen, mit Bildern von Trümmerhaufen, einstürzenden Häusern, die in seinen Albträumen auftauchten, detonierende Blindgänger in einer Gasse, in der er gerade mit seiner Mutter spazierte. Nachdem sich der Rauch gelegt hatte, fand er sich zwischen den Häusern alleine wieder. Ein Krater mitten in einer Wiesenlandschaft, in dessen Mitte sich eine Hand aus dem sandigen Boden reckte.
    Max dachte an seinen Vater. Er war vor zwei Jahren an einem Lungenleiden gestorben. Nachdem das Werk in die Reichsrüstungsindustrie eingegliedert worden war, wurden in Kapfenberg riesige neue Werkhallen gebaut, die Teile für Flugzeugmotoren herstellten, und es hatte Pläne der Nationalsozialisten gegeben, eine »Stadt der 40000« im Tal erstehen zu lassen. Doch lange war der Vater nicht mehr zur Schicht mit dem neuen Oberleitungsbus gefahren, der die Arbeiter ins Werk brachte. Eines Morgens musste er ins Spital, weil er kaum noch Luft bekam, und nach ein paar Monaten konnte er nicht einmal mehr selbstständig das Haus verlassen. Nichts mehr war übrig von seiner Kraft, mit der er früher seine Freunde beeindruckt hatte, damals im kalten Februar 34, als sie mit ihrem Anführer über die verschneiten Berge nach Jugoslawien zu fliehen versucht hatten und nach tagelangem Marsch, ohne Nahrungsmittel und ohne warme und trockene Kleider, völlig erschöpft von der Gendarmerie gefangen genommen worden waren. Ein paar Jahre später waren in Österreich die Christlichnationalen von den Nationalsozialisten abgelöst worden, und viele der Sozialisten waren nach dem Anschluss ans Dritte Reich einfach übergelaufen, wie der Vater es genannt hatte. Sie hatten gemeint, die Nazis trügen den Sozialismus im Namen und die von ihnen betriebene Umschichtungen der Gesellschaft entspräche den Zielen der sozialistischen Arbeiterbewegung. Max wusste, dass die politischen Verwerfungen und der Ausbruch des Krieges die schlimmsten Erwartungen seines Vaters erfüllt und ihm den letzten Lebenswillen erstickt hatten, den er sich nach seiner Entlassung aus dem Anhaltelager Wöllersdorf mühsam wieder aufgebaut hatte. Der Vater hatte Max oft gesagt, wie froh er war, dass beide Söhne nicht in sibirischen Lagern, wie einige der Februarkämpfer nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion, verschwunden waren. Edgar und Max waren bereits im Sommer 1937 wieder zu Hause gewesen, sie hatten sich dem Schlossermeister aus der Nachbarschaft, der vom Leben in Moskau enttäuscht gewesen war, angeschlossen. Max hatte ihn gebeten, ihnen zu helfen. Sein Bruder Edgar war zunächst nicht begeistert gewesen, hatte Max einen Feigling genannt und gesagt, er wolle notfalls auch alleine in der Sowjetunion bleiben, wo ihm eine Ausbildung zum Ingenieur versprochen worden war. Zuletzt hatte sich Edgar dann doch zur Rückreise entschlossen, weil einer der befreundeten Schutzbündler über Nacht verhaftet worden war. Der Schlossermeister war dann mit den Brüdern stundenlang in Amtsstuben herumgesessen und hatte unzählige Male mit Österreichischen Behörden

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