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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Stout.«
    »Geht das?«
    »Glauben Sie mir. Das geht. Das ist ungefähr wie mit einem Gürtel. Aber es erfordert eine hohe Willenskraft.«
    Mrs Stout lehnte sich wieder zurück und begann sich hin und her zu wiegen, während sie schluchzte, oh mein Gott, oh mein Gott, herzzerreißend, animalisch. Frank war klar, dass er sich so bald wie möglich an dieses Geräusch gewöhnen musste. Wogegen er nichts hatte. Aber jetzt brauchte er tatsächlich ein Taschentuch. Er ließ sie schluchzen, bis es von allein vorüberging.
    »Warum ist er nicht mit mir gekommen? Er hätte mit mir zu Jimmy gehen sollen.«
    »Jeder hat seine Art von Trauer, Mrs Stout. Eine ist nicht besser als die andere.«
    Sie schaute Frank an, der sehen konnte, dass die Verzweiflung spurlos verschwunden war und stattdessen eine gleichgültige Maske erschienen war.
    »Glaubst du das wirklich, Farrelli?«
    »Was, Mrs Stout?«
    »Dass eine Art der Trauer nicht besser ist als die andere?«
    »Es ist natürlich schwierig, sie zu vergleichen, aber …«
    Sie unterbrach ihn.
    »Ich finde, es ist besser, ins Krankenhaus zu fahren und Jimmy noch einmal zu sehen, als sich an einem Lederriemen zu erhängen.«
    Mrs Stout stand auf und ging zu Kerze und Foto. Frank erhob sich ebenfalls.
    »Sie sind eine kluge Frau«, sagte er.
    Noch während er das sagte, durchzuckte es ihn. Die Worte wirkten falsch, fast intim. Er hatte noch nie etwas Ähnliches zu einer Frau gesagt, und jetzt stand er hier in der Stunde der Trauer und sagte es zu ihr, die hier trauerte. Sie drehte sich zu ihm um.
    »Jeden Tag haben wir darauf gewartet, dass jemand käme und uns sagte, Jimmy wäre von einem Heckenschützen erschossen worden, von einer Autobombe zerfetzt, im Kampf gefallen. Und dann musste es so enden. Er bekommt sicher nicht einmal ein militärisches Ehrenbegräbnis. Findest du das gerecht?«
    »Ich weiß nicht, was gerecht ist, Mrs Stout. Ich bin nur der Übermittler.«
    Frank ging hinaus zum Wagen, und auf dem Rückweg zum Rathaus hielt er beim Schlachter, um dieses verfluchte Taschentuch endlich aus der Welt zu schaffen. Der Laden war geschlossen. An der Tür hing ein Zettel mit fast unleserlichen Buchstaben. Wg. Krankheit bis auf Weiteres geschlossen. Hatte Bill McQuire sich krank ins Bett gelegt, nur weil er ein bisschen am Finger blutete? So langsam war Frank dieses Taschentuch wirklich leid. Er hatte nicht darum gebeten, es auszuleihen. Er fuhr das letzte Stück zum Rathaus und eilte hinunter in sein Büro, um dem Pfarrer nicht begegnen zu müssen. Dort machte er sich gleich an die Arbeit, einen Bericht über den Fall Stout in das neue Protokollheft zu schreiben, das nur ihm vorbehalten war. Er war es nicht gewohnt, sich schriftlich zu äußern, deshalb notierte er nur ein paar Stichworte. Selbstmord ist kein Unfall. Man kann einen Unfall nicht planen. Dann ist es kein Unfall mehr.
    Frank unterzeichnete mit Namen, Datum und Jahreszahl, stellte das Protokollheft wieder an seinen Platz im Regal und fuhr nach Hause. Alles in allem war er zufrieden. Er hätte nichts anders machen können. Den Wagen stellte er vor der Pforte ab. Frank hatte nichts dagegen, wenn den Bewohnern der April Avenue der frisch lackierte Chevrolet auffiel. Sollten sie es doch als ein Zeichen dafür sehen, dass die Dinge sich früher oder später regelten, dachte Frank Farrelli, der Mann, der die schlechten Nachrichten überbrachte. Soldaten bekommen keine Medaille, wenn sie auf dem Heimweg aus dem Krieg sind. Jimmy und sein Vater wurden auf der Westseite des Friedhofs beerdigt. Auf beiden Grabsteinen stand gone fishing.
    Eine Woche verging ohne weitere Vorkommnisse. Das Leben in Karmack, soweit man es als Leben bezeichnen konnte, Müßiggang ist wohl zutreffender, verlief in seinen gewohnten Bahnen, abgesehen davon, dass Unfälle ausblieben, was Frank nach einer Weile irritierte. Er sah ein, dass sein Job als Übermittler nicht vereinbar war mit dem Wunsch nach guten Zeiten. Er wurde ungeduldig und griesgrämig. Sollte er schon wieder arbeitslos werden, nur weil die Leute ein paar Tage lang Glück hatten und sich nicht verletzten oder umkamen? Das ist nicht gerecht, dachte Frank. Aber wie dem auch war, jeden Morgen war er um sieben Uhr an Ort und Stelle in seinem Büro, saß dort und wartete, traute sich nicht einmal, ins Protokollheft zu sehen. Die Blumen von Blenda Johnson verwelkten mit der Zeit, und eines Morgens waren sie fort. Dafür kam sie um zwölf Uhr mit einem Lunchpaket zu ihm, Putensandwich und

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