Der Sommerfaenger
Puzzle erst dann zügig zu Ende bringen, wenn man die Teilchen zwischendurch neu mischte und noch einmal ganz von vorn begann.
Der Himmel über Köln drückte schwer auf die Stadt. Es regnete in langen Fäden. Abgase schwängerten die Luft. Die Reifen der vorbeifahrenden Wagen wirbelten Spritzwasser auf. Von fern konnte Bert gereiztes Hupen hören. Sein Schirm, ein Spontankauf von fünf Euro, öffnete sich nicht. Bert fluchte und beeilte sich, ins Präsidium zu gelangen.
Tessa erwartete ihn mit einer Tasse Kaffee, einem Plunderteilchen und einem ausführlichen Bericht.
»Die Telefone stehen nicht still. Das Übliche: Lukas Tadikken ist an tausend Orten gleichzeitig gesehen worden, mal mit einem Mädchen, mal mit einem Freund, mal mit einem Kind an der Hand, das er entführt haben soll. The same procedure as every year …«
Sie grinste.
Bert fragte sich, ob all die Enttäuschten und Gestörten, die die Leitungen mit ihren Lügenmärchen blockierten, auch nur den Schatten einer Ahnung hatten, wie sehr sie den Verlauf der Ermittlungen aufhielten, Fahndungserfolge verzögerten, im schlimmsten Fall sogar verhinderten.
»Seltsamerweise hat sich keiner aus Lukas Tadikkens Familie und auch niemand aus seiner Schulzeit gemeldet. Überhaupt weiß offenbar niemand etwas über seine Kindheit und Jugend. Es haben lediglich einige Kommilitonen angerufen, von denen aber keiner mit ihm befreundet gewesen ist. Sie waren übereinstimmend der Meinung, er sei ein …«
Hier zeichnete Tessa mit zwei Fingern jeder Hand imaginäre Anführungszeichen in die Luft.
»… totaler Eigenbrötler. Unzugänglich. Zurückhaltend. Isoliert. Extrem intelligent und manchmal umwerfend charmant.«
Die Aneinanderreihung dieser Begriffe ließ Bert frösteln. Zu oft verbarg sich dahinter ein psychopathischer Charakter.
»Anscheinend hat ihn niemand seit den Morden zu Gesicht bekommen. Es ist wie verhext. Wir gehen allen ernstzunehmenden Hinweisen nach, aber bisher ist nichts Brauchbares dabei gewesen.«
Es war unsinnig, das Gefühl zu haben, auf der Stelle zu treten, denn die Zeitungen hatten erst gestern den Fahndungsaufruf und das Foto von Lukas Tadikken gebracht, aber Bert spürte, dass die beiden Morde nur der Anfang von etwas waren, das Ähnlichkeit mit einem Amoklauf zu haben schien.
Er trank den Kaffee aus, ließ das Plunderteilchen liegen und hatte gerade sein Büro betreten, als das Telefon klingelte.
Tags zuvor hatten sie wieder eine Leiche gefunden, diesmal in Sachsen, Landkreis Bautzen. In der Brusttasche der Toten hatte der Zettel gesteckt, vor dem Bert sich die ganze Zeit gefürchtet hatte.
Nummer drei.
Und wieder dieses verdammte Smiley.
Die Kollegin aus Görlitz, die die Ermittlungen leitete, sächselte so stark, dass Bert sich höllisch konzentrieren musste, um sie zu verstehen. Nüchtern und sachlich informierte sie ihn über die Fakten.
Der Name der Toten war Siri Bach. Sie war siebzehn Jahre alt gewesen und hatte sich im zweiten Jahr ihrer Ausbildung zur Hotelkauffrau in einem Hotel in Kamenz befunden.
Ihr Freund, Koch im selben Haus, hatte die Leiche im Fahrstuhl entdeckt und in der Tasche ihrer Bluse die Nachricht gefunden. Allem Anschein nach war das Mädchen erwürgt worden, doch man musste natürlich noch die Ergebnisse der Obduktion abwarten.
Die Spurensicherung hatte die Fahrstuhlkabine untersucht und Fingerabdrücke sichergestellt, die bereits mit der Datei des Bundeskriminalamts abgeglichen worden waren.
Einige davon waren identisch mit denen, die bei den Fällen Kluth und Darwisius gefunden wurden.
Während Bert wartete, weil die Kollegin ein zweites Gespräch annehmen musste, ließ er das Gehörte sacken. Die Ermittlungskommission würde vergrößert und Lukas Tadikken ab jetzt bundesweit gesucht werden.
Die Kollegin entschuldigte sich für die Unterbrechung und versprach, ihn zu informieren, sobald es Neuigkeiten gebe. Bert bedankte sich und beendete das Gespräch. Nach kurzem Nachdenken bat er Tessa zu sich.
»Überstunden«, sagte er knapp und setzte sie kurz ins Bild.
Vielleicht war Lukas Tadikken ja wirklich nur zwischen die Fronten geraten, doch wenn er schuldig war, mussten sie ihm so rasch wie möglich das Handwerk legen.
*
Ich war auf dem Weg zu meiner Mutter, als Merle anrief. Sie war über Nacht bei Claudio geblieben und ich hatte sie beim Frühstück ziemlich vermisst. Auch Ilka und Mike hatten irgendwo anders übernachtet.
Das Haus war unheimlich still gewesen.
»Na?«, fragte ich.
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