Der Sommerfaenger
Menschenseele je was zuleide getan.«
Wimmernd verstummte sie.
Luke nahm sie in die Arme und sie ließ es geschehen und weinte an seiner Schulter. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Sein Schlüsselbein wurde nass und warm von ihren Tränen.
»Ihr Freund hat sie gefunden. Erwürgt.«
Ihre Finger krallten sich in Lukes Hemd. Dann ließ sie ihn abrupt los und trat einen Schritt zurück, als wäre ihr in diesem Augenblick klar geworden, dass er eigentlich ein Fremder war, noch dazu Gast des Hauses, in dem jemand ihre Freundin getötet hatte.
»Sie befragen jeden«, sagte sie und warf einen verzweifelten Blick auf die dramatische Ansammlung von Menschen und Fahrzeugen vor dem Hoteleingang. »Sogar die Angestellten. Als wäre einer von uns fähig gewesen, Siri was anzutun.«
Das Gewitter hatte sich verzogen, bevor der Himmel sich entladen konnte. Hauchfeiner Regen schwebte nieder, kaum mehr als Nebelfeuchte, die sich Luke kühl aufs Gesicht legte und das dunkle Haar des Mädchens wie ein Spinnennetz aus winzigen Tröpfchen bedeckte.
Luke wusste nicht, was er sagen sollte.
Das Gesicht des Mädchens war von Schmerz verzerrt.
»In ihrer Bluse steckte ein Zettel«, flüsterte sie so leise, dass Luke sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen. »Darauf stand Nummer drei .«
Lukes Magen verkrampfte sich, noch bevor sie das Smiley erwähnte. Er nickte geistesabwesend, als sie sich hastig von ihm verabschiedete und davonlief, fühlte, wie die Nässe in seine ohnehin schon feuchte Kleidung eindrang.
Langsam drehte er sich um. Wie gut, dass er nach dem Frühstück nichts im Hotelzimmer gelassen, sondern alles im Kofferraum verstaut hatte. Und dass er sich angewöhnt hatte, für jeden Tag im Voraus zu bezahlen.
Jetzt kam ihm seine Vorsicht zugute.
Unbehelligt von der Polizei oder sonst jemandem, erreichte er seinen Wagen und fuhr los.
Siri war seinetwegen gestorben, und das bedeutete, dass im Grunde er sie getötet hatte.
Er hätte nicht wieder in einem Hotel absteigen dürfen.
Luke war starr vor Entsetzen.
Er durfte nicht zulassen, dass Kristof weitermachte. Er musste das Spiel beenden, wie auch immer. Offenbar hatten sie ihn die ganze Zeit im Auge behalten. Es war ihm nicht gelungen, sie abzuschütteln.
Vielleicht war er Kristof doch nicht gewachsen.
Wie, zum Teufel, konnte er dann glauben, Jette zu schützen, indem er sich von ihr fernhielt?
Das Gegenteil war der Fall. Schon als Kind hatte Kristof sich rasch gelangweilt. Auch dieses Spiel würde ihn bald ermüden und dann würde er stärkere Reize brauchen. Er hatte Luke lange genug gehetzt. Bestimmt fand er allmählich, dass es an der Zeit war, die Jagd zu einem Abschluss zu bringen.
Unwillkürlich trat Luke auf die Bremse und verursachte fast einen Unfall. Der Fahrer hinter ihm hupte und tippte sich aufgebracht an die Stirn, doch Luke saß da wie gelähmt.
Kristof kannte seine einzige wunde Stelle, und er würde nicht zögern, ihn genau da zu treffen.
20
Den größten Teil der Strecke war Merle gefahren. Jette hatte reglos neben ihr gesessen und stumm in die Landschaft gestarrt. Der Kommissar hatte ihr unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie nichts erreichen würde.
»Ihr Freund«, hatte er gesagt, »befindet sich garantiert längst nicht mehr in Hildesheim.«
Merle hatte ihm im Stillen recht gegeben. Das ganze Unternehmen war kompletter Schwachsinn gewesen. Wie sollte man jemandem folgen, der sich auf der Flucht befand?
Es hatte sie jedoch gefuchst, vom Kommissar so abgekanzelt und wie ein kleines Kind nach Hause geschickt zu werden. Das Einzige, was sie besänftigt hatte, war der Gedanke gewesen, dass sie nun zügig die Aktion Zumberg vorantreiben konnte.
Außerdem vermisste sie Claudio. So schnell wie möglich wollte sie sich wieder mit ihm versöhnen.
Die Fahrt hatte lange gedauert. Erst am Abend waren sie in Birkenweiler angekommen. Ilka und Mike waren nicht zu Hause gewesen, und die Katzen hatten sich aufgeführt, als hätte man sie wochenlang ausgehungert. Smoky hatte wie gewohnt Donna und Julchen vorgeschickt, die maunzend nach Futter verlangt und ihm dann brav den Vortritt gelassen hatten.
Jette war müde und frustriert ins Bett gegangen. Merle hatte sich voller Vorfreude auf den Weg zu Claudio gemacht.
Sie hatte ihm noch ein bisschen bei der Arbeit geholfen und später, nachdem alle weg waren, die Tür abgeschlossen. Wortlos hatte sie ihn ins Nebenzimmer gezogen, in dem es ein uraltes, klappriges Sofa gab. Es
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