Der Sommerfaenger
Stimme war ein wenig heiser gewesen, und Kristof hatte angenommen, dass sie erkältet war. Deshalb hatte er sich nichts weiter dabei gedacht, dass sie anders klang als in seiner Erinnerung.
Sie hatte aufgelegt und sich zurückgelehnt.
Für einen Moment saß sie einfach da und ihr helles Haar schimmerte im Licht der Spätnachmittagssonne wie ein Heiligenschein.
Das irritierte ihn.
Es ließ ihn sogar kurz zögern.
Doch er sagte sich, dass in diesem Stück keiner unschuldig war. Sie alle hatten ihren Part zu spielen, um den letzten, den entscheidenden Akt vorzubereiten.
Lautlos trat er hinter sie und legte ihr die Schnur um den Hals.
Sie wehrte sich so verzweifelt, dass sie erst halb, dann ganz vom Stuhl rutschte, der auf seinen Rollen nach hinten schoss und sich Kristof in den Unterleib rammte. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, und es kostete ihn eine ungeheure Anstrengung, den Stuhl mit dem Knie wegzustoßen, ohne die Spannung der Schnur zu lockern.
Als es vorbei war, ließ er den toten Körper zu Boden sinken und krümmte sich vor Schmerzen. Erst nach zwei, drei Minuten war er wieder fähig, sich zu bewegen und sein Werk zu begutachten.
Sie lag auf dem Rücken, den Kopf zur Seite geneigt. Ihr Haar hatte sich über das Gesicht gebreitet. Um die Kunststoffschnur zu entfernen, musste Kristof es zur Seite streichen.
Und da entdeckte er es.
Der Schock legte Feuer in seinem Körper. Jedes einzelne Organ schien in Flammen aufzugehen.
Das war nicht Jette, und von vorn betrachtet, sah sie ihr nicht einmal ähnlich. Lediglich die Frisur, die Haarfarbe und der Körperbau stimmten überein.
Er hatte das falsche Mädchen getötet.
Mit fliegenden Fingern hatte er die Schnur von ihrem Hals gelöst und in die Hosentasche gestopft. Er hatte seine Botschaft deponiert, war vorsichtig auf den Flur hinausgetreten und hatte schnell und geräuschlos das Haus verlassen.
Draußen hatte er die Handschuhe abgestreift und war zum Sprinter zurückgegangen, scheinbar ohne Eile, obwohl alles in ihm in Aufruhr gewesen war.
Er hatte einige Kilometer zwischen sich und den Tatort gelegt, und nun saß er hier, am Rand eines Weihers, auf dem wie Gold das Abendlicht glitzerte, und spürte, wie der Hass in ihm kochte.
Sie hatte ihn zum Narren gehalten.
Und war entkommen .
Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte, aber sie würde dafür büßen, dass sie ihn in diese Lage gebracht hatte, so viel war gewiss.
*
Bert hatte so sehr gehofft, keine dieser Botschaften mehr vorzufinden. Doch da war sie.
NUMMER FÜNF.
Und das verfluchte Smiley grinste ihn an.
Das Mädchen lag vor dem Schreibtisch auf dem Boden. Ihre Beine waren ausgestreckt und leicht gespreizt, ihr T-Shirt hatte sich über dem kurzen Rock hochgeschoben, und Bert konnte sehen, dass ihr Bauchnabel gepierct war, ebenso wie ihre Unterlippe.
Die Todesursache war eindeutig. Sie war erdrosselt worden. Um ihren Hals zeigte sich der dafür typische tödliche Ring.
Bert schluckte trocken. Seine Kehle war wie ausgedörrt.
Dieser Mord fiel nicht in den Bereich der Kripo Köln, sondern in den seiner ehemaligen Dienststelle. Da Bert jedoch die Sonderkommission leitete, die zur Aufklärung der Smiley-Morde gebildet worden war, hatte ihn Klaus Röllner, der verantwortliche Kollege, gleich nach dem Auffinden der vom Täter hinterlassenen Botschaft angerufen.
Vor der Tür hörten sie erregte Stimmen.
Die Kollegen von der Schutzpolizei hatten den Teil des Flurs, der zum Büro führte, abgesperrt, doch immer wieder mussten sie jemanden daran hindern, die Absperrung zu umgehen.
In Windeseile hatte sich im Haus herumgesprochen, dass etwas Schreckliches geschehen war. Der Pfleger, der den Mord gemeldet hatte, war vollauf damit beschäftigt, die verängstigten oder einfach nur neugierigen Heimbewohner zu beruhigen und vom Tatort fernzuhalten.
Diesmal war es Frau Stein, die unbedingt einen der Kommissare sprechen wollte. Sie ließen ihr ausrichten, sie müsse sich noch eine Weile gedulden. Sie hatten nicht die Absicht, Ausnahmen zu gestatten, und wenn Frau Stein hundertmal die Heimleiterin war.
Am liebsten hätte Bert das komplette Erdgeschoss abgeriegelt.
Die Lage der Leiche ließ darauf schließen, dass das Mädchen im Kampf mit dem Mörder vom Stuhl geglitten war. Der stand verloren mitten im Zimmer, als hätte er mit der ganzen Sache nichts zu tun.
Wieder hörten sie Stimmen, dann betrat ein junger Arzt der Gerichtsmedizin das Büro. Er trug einen Ohrring und den
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