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Der Sommerfaenger

Titel: Der Sommerfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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durchgefeiert. Dennoch beschloss er, ihn nicht abzurasieren. Er veränderte sein Gesicht, ließ es älter und schmaler wirken, ein wenig hohlwangig sogar. Dazu eine Sonnenbrille, und auf den ersten Blick würde ihn niemand erkennen.
    Luke hatte keinen Hunger und beschloss, nur einen Kaffee zu trinken. Wie erwartet war es das Mädchen vom Abend, das im Frühstücksraum bediente. Es schien nicht viel los zu sein in diesem Hotel oder die meisten Gäste waren schon aufgebrochen. Radiomusik plätscherte aus den Lautsprechern an den Wänden. Das Mädchen war hinter der Theke beschäftigt. Sie kam ihm heute vage bekannt vor, als sei er ihr in seinem ersten Leben schon einmal begegnet.
    Das war nicht ungefährlich.
    Doch aus irgendeinem Grund war Luke in seine alte Heimat zurückgekehrt, und er würde nicht wieder verschwinden, bevor er herausgefunden hatte, was ihn ausgerechnet hierher getrieben hatte.
    Er trank einen Kaffee, verließ das Haus und stieg in seinen Wagen. Zur Sicherheit hatte er sein Gepäck in den Kofferraum geladen. Es gab ihm das Gefühl, dem Zufall nicht vollkommen ausgeliefert zu sein.
    Nach wenigen Minuten wurde ihm bewusst, dass er auf dem Weg zu seinem Elternhaus war. Vielmehr zu dem, was davon noch übrig war.
    Spurensuche, dachte er ohne Wehmut.
    Die kalte Ruhe war wieder in seinem Kopf.
    Sie würde ihn schützen.
    Das Grundstück war verwildert. Niemand hatte es angetastet. Als einzigem Kind seiner Eltern gehörte es Luke, und er fragte sich, was er damit tun sollte. Selbst wenn der Prozess vorüber war, würde er nie wieder in Bautzen leben können.
    So tiefe Wunden.
    So viele, die ihm nach dem Leben trachteten.
    Es würde niemals aufhören.
    Er hielt an, blickte sich aufmerksam um und bog in den ungepflasterten, mittlerweile halb zugewucherten Seitenweg ein, auf dem sein Vater ihm das Fahrradfahren beigebracht hatte. Im Schatten eines mächtigen Ahorns stellte er den Wagen ab.
    Sein Elternhaus hatte am Rand der Stadt gestanden. Das Grundstück war so groß wie ein Fußballfeld. Die nächsten Nachbarn wohnten weit genug entfernt, um Luke nicht zu bemerken. Er sprang über den brüchigen Rest der kniehohen, von trockenem Efeu überwachsenen Mauer und verschwand zwischen buschigem Strauchwerk und hoch aufgeschossenem, gelbem Gras.
    Die Natur hatte wieder die Herrschaft übernommen. Das Betonfundament des Hauses war gesprungen und zerborsten. In den Rissen hatten sich Pflanzen angesiedelt. Weidentriebe, Gras und unscheinbar blühendes Wildkraut. Hier und da fand Luke noch verkohlte Holzbalken, rostige Eisenstreben, ein paar zerbrochene Dachziegel.
    Dann zog er unter erdverkrusteten Steinen einen Stofffetzen hervor.
    Er konnte nicht mehr erkennen, um welche Art Stoff es sich handelte. Das Ding war fadenscheinig und schmutzig und so ausgeblichen, dass weder Farbe noch Muster geblieben waren. Doch etwas sagte Luke, dass er den Zipfel eines Kleides in den Händen hielt, das seine Mutter früher getragen hatte.
    Die Bilder stürmten so heftig auf ihn ein, dass er taumelte. Er sank auf die Knie und stützte sich keuchend auf einem Graspolster ab. Konnte den Rauch riechen, als hätte die Erde ihn konserviert. Spürte die Hitze der Flammen.
    Und hörte die Schreie seiner Eltern.
    Es gelang ihm gerade noch, sich zur Seite zu drehen, bevor er sich übergab.
    Reglos kauerte er zwischen Unkraut und Gestrüpp und wartete, bis sein Herzschlag sich beruhigt hatte. Er steckte sich einen Kaugummi in den Mund, um den sauren, scharfen Geschmack des Erbrochenen loszuwerden, und rieb sich den kalten Schweiß von der Stirn.
    Der Hass, der in ihm explodierte, ließ ihn mit den Zähnen knirschen.
    Leo!
    Er war verantwortlich für das, was hier geschehen war. Vielleicht war ihm das Vermögen, das er mit seinen Machenschaften angehäuft hatte, nicht genug gewesen. Vielleicht hatte er nicht mehr teilen wollen und seinen besten Freund und größten Rivalen aus Habgier aus dem Weg geräumt.
    Oder aber es hatte einen folgenschweren Streit gegeben.
    Vielleicht hatte Lukes Vater auch aussteigen wollen.
    Man konnte Leo zugutehalten, dass er Luke damals verschont und ihn ganz sicher in sein Herz geschlossen hatte, aber das entschuldigte nichts. Falls Leo wirklich das Haus angezündet hatte, würde Luke ihn für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen.
    Doch vorher würde er Kristof erledigen.
    Einen nach dem andern.
    Als er wieder aufbrach, hatte sich der Himmel bezogen, und es war ein paar Grad kühler geworden. Ein Gewitter

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