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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Erkältung« wurde eine Lungenentzündung, die sich gewaschen hatte. Nun kam Bewegung ins Haus: Zwei Krankenschwestern wurden engagiert, in der Küche gab’s Gemurre wegen der beiden zusätzlichen Esser, die ganze Nacht lang brannte verhängt das Licht, und vor dem Haus wurde Stroh gestreut, um die Geräusche zu dämpfen. Der Arzt kam zweimal täglich vorbei, Sauerstoff wurde bereitgestellt. Schließlich, am fünften Tag, nahm der Doktor Cotton in der Diele beiseite und fragte ihn mit gedämpfter Stimme: »Gibt es nicht jemanden, den man benachrichtigen sollte, Cotton?« Und Cotton antwortete, beinahe trotzig: »Nein, Sir, nicht dass ich wüsste. Mr Spurrey hatte zwar Freunde in Essex, aber das war wohl eher eine Bekanntschaft, wenn ich recht verstehe. Und Verwandte gibt es nicht; Mr Spurrey war der einzige Sohn eines einzigen Sohnes, jedenfalls soweit ich weiß, Sir.«
    An diesem Abend rappelte sich Mr Spurrey wieder ein wenig auf, und der Erste, nach dem er fragte, als er wieder wusste, wo er war und was mit ihm los war, das war Saxon.
    Tina und Saxon saßen gerade beim Abendessen, als das Hausmädchen auftauchte und mit säuerlich-misstrauischer Miene die Botschaft überbrachte. Saxon, der nie irgendwelche »Ahnungen« hatte, hatte schon den ganzen Tag lang die Ahnung gehabt, dass Mr Spurrey ihn irgendwann sehen wollte. Eifrig, aber auch betreten, sprang er auf. Er hatte sich schon gefragt, ob ihm der alte Knabe wohl was hinterlassen würde oder ob er dafür einfach zu kurz für ihn gearbeitet hatte. Tina, die ihren Mann unter gesenkten Lidern beobachtete, machte sich Sorgen. Sie kannte diesen wachsam-berechnenden Blick; er bedeutete, dass die selbstsüchtige Seite von Saxons Charakter die Oberhand hatte. Bestürzt blickte sie ihm nach, wie er über den Hof zum Haus eilte.
    Das große Schlafzimmer lag im Halbdunkel; nur neben dem Bett brannte eine dezente Lampe. Eine Krankenschwester, die im Schatten gesessen hatte, erhob sich, als Saxon auf Zehenspitzen hereinkam. Ganz leise sagte sie:
    »Nur ein paar Minuten; dann müssen Sie wieder gehen.«
    Mr Spurrey lag, gelb und alt und faltig, im Bett. Seine hervorquellenden, blassblauen Augen wirkten größer denn je in dem uralten, knittrigen Gesicht. Ein verwirrter Ausdruck lag darin. Er starrte Saxon eine halbe Ewigkeit an, dann befeuchtete er sich die Lippen und krächzte:
    »Ich bin sehr, sehr krank.«
    »Ja, Sir. Wir alle bedauern das sehr.« Saxon redete behutsam und leise und hatte sich ein wenig übers Bett gebeugt.
    »Ich bin noch nicht … ich werde nicht …« Plötzlich quollen Tränen aus Mr Spurreys Augenwinkeln, rannen ihm über die Schläfen und versickerten im Kissen. Saxon beobachtete es fasziniert, dann sagte er hastig, mit einer bewusst fröhlichen, unbekümmerten Stimme:
    »Nein. Nein, natürlich nicht, Sir.« Und lächelte ein wenig dümmlich.
    Stille.
    »War schön … der Tag neulich … eh?«
    »Ja, Sir, sehr. Keine Sorge, das machen wir bald wieder.«
    Mr Spurrey lächelte schwach, dann schloss er die Augen. Wenig später öffnete er sie wieder.
    »Was ich sagen wollte … so schrecklich müde …« Sein Kopf rollte erst zur einen, dann zur anderen Seite, »wollte Ihnen was geben … kleines Geschenk … guter Junge.«
    Die Schwester hob ruckartig den Kopf. Neugier und professionelle Sorge spiegelten sich auf ihrem Gesicht. Sie erhob sich.
    »Mr Spurrey, Sie dürfen sich nicht aufregen …«
    »Ja, ich weiß … ich weiß …« Er winkte sie beiseite. »Haben Sie einen Stift …?«
    Die Schwester warf Saxon einen vielsagenden Blick zu und wies mit einer Kopfbewegung zur Tür. Saxon machte sogleich Anstalten zu gehen, aber Mr Spurrey hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit jenseits des Lampenscheins.
    »Saxon!«, rief er schwächlich. »Nicht weggehen … Saxon!«
    Der junge Mann blieb unschlüssig stehen und warf der Schwester einen fragenden Blick zu. In diesem Moment kam die Nachtschwester herein, ihre Schürze zubindend. Sie erfasste sofort, was los war, warf der jüngeren Schwester einen scharfen Blick zu und sagte leise, aber bestimmt zu Saxon:
    »Bleiben Sie ruhig.«
    »Saxon …«, wimmerte es vom Bett.
    Saxon ging auf Zehenspitzen zum Krankenlager zurück und setzte sich verlegen. Mr Spurrey wandte seine riesigen, verwirrten Augen dem jungen Mann zu, dann nickte er und schloss sie. Kurz darauf kam eine verwitterte kleine Hand unter der Decke hervor, und die gekrümmten Finger mit den nikotingelben Fingerspitzen tasteten unruhig nach

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