Der Sonntagsmann
über seine Zukunft entscheiden. Was er wohl seiner Frau sagen würde? Aber das konnte nicht Elinas Sorge sein.
Der Plan war einfach, zumindest auf dem Papier. Elina und ihr norwegischer Kollege Didriksen würden Leif Oskar Bjerre zu Hause aufsuchen und zur nächsten Wache mitnehmen. Dort würden sie ihn wegen des Postfachs verhören und ihm die Fingerabdrücke abnehmen. Falls die Fingerabdrücke mit denen aus Jäkkvik übereinstimmten, würde Boel Haraldson in Schweden sofort einen Haftbefehl gegen ihn ausstellen lassen. Falls die Abdrücke nicht übereinstimmten, dann hing alles von Elina ab und davon, ob sie ihn im Verhör zu irgendwelchen Geständnissen bewegen konnte.
Die Zeit verging. Am 1. Oktober um Mitternacht verjährte der Mord. Ylvas Universum bestand jetzt nur noch aus einem ganzen Tag, vierzehn Stunden und dreißig Minuten. Elina hatte also den Abend und den ganzen nächsten Tag Zeit.
Kriminalinspektor Didriksen holte sie mit dem Auto vom Flugplatz ab. Er war mittleren Alters, hatte gute Laune und wollte Elina zum Kaffee ins Präsidium einladen. Sie lehnte ab und bat darum, direkt nach Straumsjøen gefahren zu werden. Didriksen willigte ein und fuhr direkt auf die Landstraße. Er gehörte nicht zu den Leuten, die unnötig Probleme machten.
Im Auto versuchte Elina ihm die Situation zu erklären, merkte aber, dass sie sich in Details verlor. »Kurz gesagt, die Sache eilt«, meinte Didriksen, als sie einen Satz beendet hatte. »Der Kriminaltechniker weiß, dass wir kommen, und steht bereit. Wir wollen nur hoffen, dass wir Bjerre heute Abend auch antreffen.«
»Ich dachte, Sie halten ihn unter Aufsicht?«, erwiderte Elina entsetzt.
»Das Haus wird seit heute früh bewacht. Er hat sich jedoch noch nicht gezeigt. Entweder ist er heute den ganzen Tag im Haus geblieben, oder er hält sich irgendwo anders auf.«
Elina schloss die Augen. Er konnte eine Golfreise angetreten haben oder auf einem Gipfel in Transsilvanien meditieren. Es durfte einfach nicht an so etwas Simplem wie dem Umstand, dass er zufällig nicht zu Hause war, scheitern.
Elina fand es immer unerträglicher, ohne etwas unternehmen zu können, angeschnallt auf dem Beifahrersitz verharren zu müssen. Die Natur war an Schönheit nicht zu übertreffen, aber Elina sah das gar nicht. Sie hatte nicht die Ruhe, um über das Meer, die Berge und die Täler in Verzückung zu geraten. Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie in Straumsjøen waren.
»Hier ist es«, sagte Didriksen und bog in eine kleinere Straße ein. Er hielt vor einem weißen Haus. In den Fenstern brannte kein Licht, obwohl es bereits dämmerte.
Ein jüngerer Mann kam scheinbar aus dem Nichts auf ihren Wagen zu. »Guten Abend, Didriksen«, sagte er, was dieser mit »Guten Abend« erwiderte.
»Wir haben niemanden kommen oder gehen sehen«, sagte der Mann, bei dem es sich offenbar um einen Fahnder in Zivil handelte. »Es war auch den ganzen Tag über niemand am Fenster zu sehen. Ich glaube nicht, dass er im Haus ist.«
»Das werden wir gleich wissen«, meinte Didriksen und stieg aus dem Auto. Er ging auf die Tür zu und klingelte. Nach einer Weile klingelte er erneut, dieses Mal länger und eindringlicher. Als auch nach dem dritten Klingeln niemand öffnete, trat Didriksen vor ein Fenster, schirmte mit den Händen sein Gesicht ab und spähte durch die Scheibe. »Ich sehe niemanden«, sagte er zu Elina, die auf der Straße stehen geblieben war. »Gehen Sie doch links ums Haus, dann gehe ich rechts herum.«
Das Haus war eher klein und hatte nur ein Stockwerk.
»Tot«, meinte Elina, als sie Didriksen auf der Rückseite wieder begegnete. »Leer. Der einzige Raum, den man nicht einsehen kann, scheint die Toilette zu sein«, meinte Didriksen.
»Aber er kann nicht den ganzen Tag auf der Toilette gesessen haben.«
Elina sah sich um. Sie hoffte, irgendwo eine Spur von Bjerre zu entdecken, der sie offenbar an der Nase herumführte.
»Er hat doch wohl keinen Grund, sich zu verstecken, oder?«, meinte Didriksen. Elina schüttelte den Kopf. »Er kann nichts von meiner Ermittlung erfahren haben«, sagte sie.
Elinas Verzweiflung wurde größer, so groß, dass sie davon Bauchschmerzen bekam.
»Dann stellt sich die Frage, wo er stecken könnte«, meinte Didriksen immer noch vollkommen gelassen und ging auf ein Nachbarhaus zu. Er klingelte, und eine Frau um die sechzig öffnete.
»Guten Abend«, sagte Didriksen und stellte sich als vor. Die Frau begrüßte ihn nur mit einem knappen Nicken.
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