Der Sonntagsmann
fertig. Gerade als sie alles abspeichern wollte, hielt sie noch einmal inne. Das Gefühl, etwas übersehen zu haben, überkam sie. Dieses Gefühl kannte sie von früheren Fällen, und sie wusste, dass sie ihm trauen konnte. Irgendetwas bei dieser alltäglichen Körperverletzungssache hatte mit Ylva Marieanne Malmberg zu tun. Sie versuchte zu ergründen, was es sein konnte. In beiden Fällen handelte es sich um Gewalt gegen Frauen. Die Betroffenen in den beiden Ermittlungsakten konnten kaum etwas miteinander zu tun haben. Der Ehemann der Frau, dieser feige Typ, war nur siebenunddreißig Jahre alt, also zwölf gewesen, als Ylva Malmberg ermordet worden war.
Sie ließ den Gedanken fallen, war es etwas Wichtiges, würde es früher oder später an die Oberfläche ihres Bewusstseins dringen. Sie klickte auf Ausdrucken, nahm den Stoß Papier und ging damit zu Jonsson. Die Genugtuung, dass sie ihm auswich, wollte sie ihm nicht gönnen. Sie legte die Akte auf seinen Tisch und verließ das Zimmer wortlos.
Niemand kann mich davon abhalten, meine Mittagspause nach eigenem Gutdünken zu verbringen, dachte sie, als sie das Präsidium durch den Haupteingang verließ und auf ihr schwarzes Saab Cabrio zusteuerte. Sie fuhr auf den Ringvägen, am Bahnhof vorbei und bog Richtung Röda Torget ab, dem Roten Platz, wie die Kreuzung jenseits der Eisenbahnunterführung im Volksmund genannt wurde. Die Sandgärdsgatan lag noch ein Stück weiter entfernt hinter der E 18.
Sie parkte ihren Wagen und begab sich zum Haus. Die Fassade schien Ende der Neunzigerjahre renoviert worden zu sein. Sie fragte sich, wie das Haus wohl 1979 ausgesehen hatte, ob es verwahrlost gewesen war, wer damals dort gewohnt hatte? Sie zählte ab, zu welchem Fenster Ylva Malmbergs Wohnung gehört haben musste. Dort sah es heimelig aus, mit Gardinen in freundlichen Farben und Blumentöpfen auf der Fensterbank. Elina hatte plötzlich das Bedürfnis, das Treppenhaus zu betreten und dort zu klingeln. Über dem Briefkastenschlitz stand der Name Eriksson und auf einem Zettel darüber handgeschrieben Hedlund. Mit Erstaunen vernahm sie Schritte aus der Wohnung. Sie hatte nicht erwartet, dass jemand zu Hause war. Ein Mädchen öffnete. Sie wirkte wie Anfang zwanzig.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Elina und stellte sich vor. »Ich bin mit einer Ermittlung betraut, bei der es um eine Frau geht, die hier vor langer Zeit gewohnt hat. Könnte ich wohl einen Augenblick reinkommen?«
»Aber natürlich«, erwiderte die junge Frau und trat beiseite. Elina zog ihre Schuhe aus und trat ein. Es handelte sich um eine Einzimmerwohnung mit einem kleinen Balkon, der zur Hofseite zeigte. Sie war mit einem breiten Bett möbliert, auf dem viele Kissen und ein großer Stoffteddy lagen. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein Schreibtisch mit aufgeschlagenen Büchern und einer brennenden Schreibtischlampe darauf. Elina warf einen Blick auf die Lektüre. Es schienen Chemiebücher zu sein.
»Ich war gerade am Lernen«, erklärte das Mädchen. »Was ist der Frau, die hier gewohnt hat, denn zugestoßen?«
»Etwas sehr Schlimmes«, erwiderte Elina. »Ich versuche herauszufinden, warum und wer der Täter war.«
»Wie lange ist das her?«
»Fast fünfundzwanzig Jahre.«
»Oh. Da war ich noch gar nicht auf der Welt. Wer war sie?«
»Sie hat auch studiert. Sonst weiß ich eigentlich kaum etwas über sie.«
»Und deswegen sind Sie hier? Um sich anzuschauen, wie sie gewohnt hat?«
Elina lächelte. »Ja, so ist es.«
Das Mädchen nickte. »Wenn Sie wissen, wer sie war, finden Sie vielleicht den, der es getan hat. Alles hängt schließlich miteinander zusammen.«
»Glauben Sie?«
»Wie hieß sie?«
»Ylva. Jetzt will ich Sie aber nicht länger stören. Vielen Dank.«
Das Mädchen begleitete sie in die Diele und Elina schlüpfte wieder in ihre Schuhe.
»Ich heiße auch Ylva«, sagte sie.
Elina drehte sich um und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Das Mädchen lächelte sie an und sah ihr in die Augen, als sie die Tür schloss.
Ylva. Wer hatte Ylva gesehen? Elina versuchte, sich die Namen der Beamten ins Gedächtnis zu rufen, während sie ins Präsidium zurückfuhr. Wer waren sie? Kärnlund natürlich, er hatte die meisten Vernehmungen in Västerås und an der Tärna Folkhögskola durchgeführt. Ein Beamter namens Lestander in Arvidsjaur hatte die Ermittlung geleitet. Hieß er Åke mit Vornamen? Sie erinnerte sich an drei
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