Der Sonntagsmann
werden wie immer. Sie würde verwendbar sein, verfügbar.
Robert. Wie alt war er eigentlich? Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig? Er bekam sein Leben nicht in den Griff. Ein Junge, kein Mann. Aber er hatte nichts von ihr verlangt. Er war nicht einmal sauer gewesen, als sie nein gesagt hatte. Dass er im Bett scharf auf sie gewesen war, war wohl ganz normal, das hätte ihr genauso gehen können. Nach ihren Eltern zu suchen, war sein Vorschlag gewesen. Auf diese Idee war sie seltsamerweise selbst nie gekommen, obwohl sie seit dem Tag, an dem sie davon erfahren hatte, jeden Tag im Stillen mit ihrer Mutter geredet hatte. Sie hatte sie um Rat gefragt, sie gefragt, was sie in verschiedenen Situationen getan hätte, und sie hatte getröstet werden wollen. Aber an die Möglichkeit, dass sie sie finden könnte, hatte sie nie gedacht. Auch ihren Vater nicht, aber er war ihr auch nicht so gegenwärtig. Sie fragte sich, was sie erwarten würde, wenn sie erst einmal dort waren. Inwieweit sie die Suche verändern würde. Die Angst ließ sie nach dem nächsten Holzlaster Ausschau halten.
Sonderlich viele Läden gab es nicht in Hoting. Kari betrat den erstbesten. Eine Frau begrüßte sie fröhlich. Sie grüßte zurück. »Ihr wohnt bei Nanna, nicht wahr?«, fragte die Frau.
Kari sah sie ratlos an. »Nanna?«
»Ja, die alte Frau.«
Kari nickte. »Wir fahren morgen weiter«, meinte sie.
»Seid ihr mit ihr verwandt?«, wollte die Frau wissen.
»Nein«, antwortete Kari. »Wir kennen sie nicht einmal.«
Die Frau räumte ein paar Dinge in die Regale und fuhr fort:
»Nein. Nanna hat vermutlich keine Verwandten. Sie wohnt schon ihr ganzes Leben lang hier, und alle kennen sie. Wahrscheinlich wurde sie ein bisschen verrückt, als ihr Mann im Wald umkam. Ihre Tochter starb bereits als Kind. Nanna ist fast dauernd auf dem Friedhof.«
»Sie hat erzählt, dass ihr Mann dort begraben liegt. Und dann hat sie gesagt, dass ihre Kinder sie nie besuchen würden.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Sie hat keine Kinder. Sie hatte nur das Mädchen. Sie war fünf Monate alt, als sie starb. Jetzt lebt Nanna in der Vergangenheit.«
Am folgenden Tag ließen die beiden Nanna allein in ihrem Haus zurück. Sie schenkte Kari ein Glas Preiselbeermarmelade. Das Auto rollte weiter Richtung Norden. Die Gegend wurde immer einsamer. Die Vegetation wurde niedriger, flacher. Unbewohnte Häuser lagen weit verstreut auf den Sommerweiden der Rentiere. Dann gab es wieder über weite Strecken nur Robert und Kari.
15. KAPITEL
Elina wusste nicht recht, wie sie vorgehen sollte. Gestern hatte sie pflichtbewusst alles erledigt, was von ihr erwartet worden war. Sie hatte eine Anzeige wegen Betrugs aufgenommen, hatte sie dann aber mehrmals lesen müssen, bis überhaupt etwas hängengeblieben war.
Die Tage vergingen … Sie schaute auf ihren Tischkalender. Den 1. Oktober hatte sie rot markiert. Heute war Mittwoch, der 8. September. Uneingeschränkte Konzentration, und zwar nicht nur Teilzeit, war die einzige Chance, um Ylva Marieanne Malmbergs Mörder näher zu kommen. Aber das würde Jönsson keinesfalls zulassen. Die Kritik an ihr bei der Besprechung hatte ihren Bewegungsspielraum komplett zunichte gemacht. Sollte sie die Zeit weiterhin heimlich abknapsen? Sie wollte John Rosén nur ungern hintergehen. Urlaub nehmen? Es stand ihr keiner mehr zu. Sie hatte bereits im Februar drei Ferienwochen verbraucht. Ihre Gedanken schweiften zu der Reise und dem Mann, mit dem sie verreist war, ab …
Nur mit Mühe konnte sie sich wieder auf die Gegenwart konzentrieren. Die Wochenenden und nach Feierabend? Das war zu anstrengend und würde auch nicht genügen. Möglicherweise ließ sich Jönsson an der Nase herumführen, sie konnte zwei Ermittlungen miteinander verquicken und auf diese Art Zeit gewinnen? Vielleicht. Das war ihr vergangenen Herbst einmal gelungen. Und diese Körperverletzung hing auch irgendwie mit dem Mord an Ylva Malmberg zusammen. Wenn ihr bloß einfiele, wie?
Sie saß in ihrem Büro. Vor ihr stand die Ablage mit den unaufgeklärten Fällen: Ihr Teil der Arbeit. Elina warf den Unterlagen einen wütenden Blick zu. Sie suchte in den Vernehmungsprotokollen aus dem Herbst 1979 nach der Personennummer von Roger Malmberg und trug sie in das entsprechende Feld auf dem Bildschirm ein. Eine Adresse tauchte auf. Salabacksgatan 6, Uppsala. Elina kannte die Adresse. Dort hatte Ylvas Mutter gewohnt. Es war das Haus, in dem Ylva aufgewachsen war. Die Telefonnummer
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