Der Sonntagsmann
darunter. Sie blätterte den Kalender bis zum 25. August durch, hielt inne und legte den Kalender beiseite. Den Gedanken erhaschen, wenn er vorbei schwebt, dachte sie und griff wieder nach ihrem Stift. Sie setzte sich ins Wohnzimmer auf das Sofa und schlang ihren Bademantel enger um die Beine.
Es gibt eine einzige Möglichkeit, diese Sache aufzuklären, dachte sie. Und zwar, wenn der Vater der Tochter auch der Mörder war. Wenn es jemand anders war, ist schon ein Wunder nötig, damit ich das Zeichen sehe, dieses winzige Zeichen, das bisher niemand gesehen hat. Der Kindsvater, der Liebhaber … ein Mann, der in Ylvas Leben eine Rolle gespielt haben musste, und das nicht nur bei ihrem Tod. So kann man ihn sichtbar machen. Er kann sich schon viel früher in ihrer Nähe befunden haben, oder er könnte eine neue Bekanntschaft gewesen sein. Nur dass sie an einem der Tage um den 25. August herum zusammen waren, ist sicher. Elina schlug den Taschenkalender auf und sah beim Montag in derselben Woche nach, dem 21. August. »Schulanfang«, stand da.
Elina schüttelte den Kopf. Eine ganze Schule, viele Männer, sowohl Lehrer als auch Schüler. Sie sah unter dem 25. August nach. »War im Monaco.« Ein Musiklokal voller junger Männer. Das Angebot an möglichen Mördern schien gerade an jenem Tag unerschöpflich gewesen zu sein.
Jeder Tag wies im Taschenkalender sechs Zeilen für Notizen auf. Ylva hatte sie gelegentlich vollgeschrieben, an anderen Tagen nur einzelne Worte notiert. Elina fiel auf, dass es zwei verschiedene Zeitperspektiven gab. Mit »Schulanfang« war etwas in der Zukunft Liegendes gemeint, es wies auf etwas hin, was geschehen würde oder getan werden musste und war im Voraus notiert. »War im Monaco«, bezog sich auf etwas, was bereits geschehen war. Es handelte sich um einen Tagebucheintrag, der im Nachhinein niedergeschrieben worden war. Elina blätterte in dem Taschenkalender vor und zurück. Jeden Tag, das ganze Jahr über, gab es einen Eintrag. Meist ging es darum, was Ylva an diesem Tag unternommen hatte. Bei dem Taschenkalender handelte es sich vor allen Dingen um ein Tagebuch. Sicher war es eine Gewohnheit gewesen, und sie hatte mehrere Jahre lang Tagebuch geführt, dachte Elina. Bei den Unterlagen hatten drei Tagebücher sowie ein weiterer Taschenkalender gelegen.
Elina wollte in Ylvas Welt eindringen. Sie wollte, wünschte und erhoffte sich, dass ihr die Kalender und Tagebücher verraten würden, welche Männer Ylva getroffen hatte. Aber das würde ihr kaum eine konkrete Spur liefern, die ihre Kollegen nicht bereits gefunden hätten. Bestenfalls gab es irgendwo eine Andeutung, die den anderen Ermittlern entgangen war, oder irgendein Muster, das nur Elina erkennen konnte. Aber auch das war nicht sehr wahrscheinlich. Sie musste sich selbst ein Bild davon machen, wer Ylva gewesen war. Ein eigenes Bild. Sie musste sie mit den Augen einer Frau sehen, nicht mit den Augen ihrer männlichen Kollegen. Die Tagebücher und Taschenkalender waren nur Ausgangspunkte für andere Fragestellungen. Sie musste mit Menschen reden, die Ylva gekannt hatten. Aber die Zeit war knapp und sie konnte das nicht während der Arbeitszeit erledigen. Sie musste die Zeit irgendwo anders abknapsen und nur einige wenige Personen auswählen. Aber welche?
»Roger, Bruder«, schrieb sie auf ihren Block. »Jemand aus der Kommune. Jemand, mit dem sie in Indien war. Mitstudent von der Tärna Folkhögskola. Eine Freundin oder Bekannte aus Västerås. Ein Mann, mit dem sie sexuellen Kontakt hatte.«
Sieben Leute, dachte sie. Damit müsste ich recht rasch fertig werden. Ich muss nur die Richtigen finden.
Sie blätterte in den Akten. In der Mitte des Papierbergs stieß sie auf ein Heft mit etwa dreißig DIN-A4-Seiten. Auf dem Titelblatt stand: »Zusammenstellung der Angaben aus den Kalendern und Tagebüchern.« Darunter wurden acht Tagebücher aus den Jahren 1965 bis 1977 aufgelistet und ein Kalender von 1978.
Es gab also fünf weitere Tagebücher. Elina fragte sich, ob sie verschwunden oder zurückgegeben worden waren, und wenn Letzteres der Fall war, an wen. Wieso gab es keinen Kalender für 1979?, überlegte sie und machte sich eine Notiz auf ihrem Block.
Sie schlug den Kalender für 1978 auf und begann mit dem 1. Januar. Das erste Wort lautete »verkatert«. Darauf folgte: »Gegen 16 Uhr hingelegt. Mit P.*** (glaube ich, war zu betrunken).« Elina nahm den Kalender des Vorjahres zur Hand. An Silvester hatte Ylva eingetragen: »Fest
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