Der Sonntagsmann
In der dritten Woche hatten sie begonnen, miteinander zu reden. Als sie nach Hause fuhren, war es endgültig vorbei.
Aber das Fieber hatte sie nicht losgelassen. Die brennende Hitze und eine zunehmende Gleichgültigkeit sich selbst gegenüber hatte sie zu Begegnungen getrieben, die sie sich früher nicht zugetraut hätte.
Doch schließlich hatte sie Angst bekommen. Jede Begegnung hatte einem Drahtseilakt geglichen. Sie wollte nicht führen, sie wollte geführt werden. Nur hinter ihrer Schwäche konnte sie sich verstecken. Aber plötzlich war die Angst da gewesen, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Sie hatte diese Angst körperlich wahrgenommen, eiskalt war ihr geworden und sie war erwacht. Als wäre sie aus dem Bett gerollt und auf einen Betonboden aufgeprallt. Aufzustehen hatte bedeutet, wieder allein zu sein.
Dann war die schleichende Erkenntnis gekommen, dass sie ihre Arbeit vernachlässigt hatte und dass sie die Position, die sie sich erkämpft hatte, nur dank der Geduld ihrer Kollegen hatte bewahren können. Alle hatten ihre Verfassung auf die Morddrohungen zurückgeführt, die gegen sie ausgesprochen worden waren. Niemand wusste von Martin und dem, was dann gekommen war. Aber mit der Nachsicht war es nun vorbei.
Und jetzt Ylva … Ylva Marieanne Malmberg sollte ihr helfen. Wenn Ylva die Geheimnisse ihres Lebens preisgab, dann würde auch sie sich deutlicher sehen. Sie würde Ylva danken, indem sie ihren Mörder fasste. Aber wie sollte sie das John Rosén erklären? Sie konnte ihn nur dann um Hilfe bitten, wenn Jönsson wieder etwas gegen sie unternahm, gegen sie und gegen Ylva. Die Unterstützung aus Stockholm würde seinen Angriff lediglich hinauszögern.
Es war kurz nach drei Uhr nachmittags, und das Polizeipräsidium war schon fast menschenleer, als Elina den Korridor betrat. Sie hatte ebenfalls vor, an diesem Freitag zeitig Feierabend zu machen, wollte aber noch ein Telefongespräch erledigen. Sie wollte in Erfahrung bringen, ob der Lebensmittelhändler in Jäkkvik, der Ylva vor fünfundzwanzig fahren etliche Male begegnet war, immer noch in seinem Laden stand. Von der Auskunft erhielt sie die Nummer des einzigen Lebensmittelladens in Jäkkvik. Sie wählte. Nach dem vierten Klingeln hob jemand ab.
19. KAPITEL
Der Mann schirmte die Sprechmuschel mit der Hand ab und fragte:
»Sie entschuldigen doch, wenn ich kurz telefoniere?«
Kari nickte. Sie konnte auch selbst nach der Zahnpasta im Laden suchen. Robert stand vor der Kühltheke. Sie überlegte besorgt, was er anstellen würde, wenn niemand hinsah.
Ehe sie die Zahnpasta gefunden hatte, kam der Ladenbesitzer wieder zu ihr. »Das war ein merkwürdiges Gespräch! Eine Frau von der Polizei wollte wissen, ob ich diesen Laden vor fünfundzwanzig Jahren schon besessen habe. Nein, habe ich geantwortet. Der Vorbesitzer ist schon lange tot. Warum sie das wissen wollte, hat sie mir jedoch nicht verraten. Nur, dass es um ein weit zurückliegendes Verbrechen ginge. Hier steht die Zahnpasta.«
Kari nahm eine rote Tube und ging zu Robert. Sie legte sie in den Korb, dann bezahlten sie alles an der Kasse. Als sie wieder im Auto saßen, fischte Robert ein Paket mit gekochtem Schinken sowie zwei andere Pakete aus seinem Hemd.
»Wusste ich’s doch«, sagte Kari.
»Ich kann schließlich nicht nur von dir leben«, meinte Robert und grinste.
Er ließ den Motor an und fuhr wieder auf die Landstraße, die den poetischen Namen Silvervägen trug. Das Letzte, was sie von Jäkkvik sahen, war ein kleines verlassenes Haus am Ortsrand auf einer Anhöhe.
Die Fjällkämme ragten vor ihnen auf, und die Wolken verdichteten sich Richtung norwegischer Grenze. Noch ehe sie Schweden verlassen hatten, begann es zu regnen.
Es war eine Viertelstunde vor Mitternacht, als Kari und Robert den Fährhafen von Skutvik erreichten. Es regnete immer noch, und sie beschlossen, im Wagen zu übernachten. Am nächsten Morgen wollten sie mit der Fähre über den Vestfjord auf die Lofoten übersetzen.
ZWEITER TEIL
RUTUS’ HUND
20. KAPITEL
Es war Wochenende, und es wäre ihm lieber gewesen, wenn die Enkel nicht zu Besuch gekommen wären. Aber Anita hatte es sich so gewünscht. Dann musste es wohl so sein. Schließlich war sie es, die sich um die Enkel kümmerte. Eigentlich waren es nicht einmal seine eigenen Enkel.
Er würde die meiste Zeit in seinem Arbeitszimmer sitzen und seine Papiere sortieren. Er würde die Tür hinter sich zumachen und ganz systematisch vorgehen. Das
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