Der Sonntagsmann
gewohnt.«
»Als sie etwas älter wurde, hat sie versucht sich aufzulehnen, und zwar indem sie ihm immer häufiger widersprochen hat, indem sie eine eigene Meinung hatte und auch mit anderen Typen schlief. Ich glaube, sie hat mit allen anderen Typen im Kollektiv und mit vielen, die dort nur gelegentlich übernachtet haben, geschlafen. Er hat sie daraufhin nur noch stärker unterdrückt. Hat ihre Ansichten als schwachsinnig bezeichnet und sie immer zurechtgewiesen, wenn sie etwas falsch machte. Er hat sie ihm Beisein von uns anderen verhöhnt. Aber wenn er etwas von ihr wollte, hat er sich bei ihr eingeschleimt. Also wenn sie ihn ranlassen sollte. Oder wenn er gemerkt hat, dass er zu weit gegangen war. Dann gab er nach, verabreichte ihr ein paar Streicheleinheiten und machte sie glauben, sie bedeute ihm etwas. Spielte unglücklich, wenn sie damit drohte, ihn zu verlassen. Er hat sie die ganze Zeit manipuliert. Es war übel, das mitzuerleben. Ich begreife nicht, weshalb sie sich das alles gefallen ließ.«
Aber ich tue das, dachte Elina und ein vages Unbehagen breitete sich in ihrem Körper aus. »Hat er sie geschlagen?«, fragte sie, um dieses Gefühl rasch zu vertreiben.
»Soweit ich weiß, nicht. Eine Frau prügeln! Das würde gar nicht gehen in einem Kollektiv!«
Tina Möller verdrehte die Augen.
»Wissen Sie«, meinte sie, »im Bagargården sollte es so verdammt gleichberechtigt zugehen. Eine Zeitlang hatten wir sogar eine gemeinsame Kasse. Aber das hat nicht funktioniert, es gab die ganze Zeit Streit.«
»Wie kam es dazu, dass sie schließlich von dort ausgezogen ist?«
»Er hat ein Mädchen aufgegabelt, das gefügiger war. Im Prinzip hat er Ylva damals rausgeworfen. Aber ich weiß, dass er trotzdem noch manchmal zu ihr nach Hause gefahren ist, er ließ sie nie ganz los. Und dann hat sich das Kollektiv auch aufgelöst, viele waren bereits ausgezogen, neue Leute kamen und gingen. Ich erinnere mich, dass ich mich mit mehreren von den neuen nicht vertrug. Als ich die Aufnahme ins Lehrerseminar geschafft hatte, habe ich das Weite gesucht.«
»Wie haben Sie auf den Mord an Ylva reagiert?«
»Ich dachte, dass sie sich wohl wieder den falschen Typen ausgesucht hat. Einen wie Bernt, nur schlimmer. Bernt griff zumindest nicht zu körperlicher Gewalt, bei ihm war das nur psychologisch. Aber nach ihrem Auszug ist unser Kontakt eingeschlafen. Ich weiß nicht, was für Leute sie danach kennen gelernt hat. Und Bernt hatte ein Alibi, vermutlich stand er gar nicht unter Tatverdacht.«
Letzteres war mehr als Frage denn als Behauptung formuliert. »Nein«, antwortete Elina. »Er wurde nie verdächtigt. Sein Alibi war hieb- und stichfest.«
Elina war unwohl, als sie auf den Riksvägen 55 Richtung Västerås einbog. Sie griff zu ihrem Mobiltelefon und wählte Nadias Nummer.
»Hast du heute Abend Zeit?«, fragte sie. »Kannst du bei mir vorbeikommen, dann können wir ein Glas Wein trinken und reden? Oder wenn Nina bei dir ist, kann ich auch zu dir kommen.«
Nina sei zwar bei ihrem Vater, hieß es, aber ihre Freundin musste arbeiten. Samstag passte besser. Nadia wollte um sieben bei Elina vorbeikommen. Vielleicht würden sie dann zusammen essen gehen.
Elina fühlte sich nach dem kurzen Gespräch schon wohler. Sie dachte an Ylvas Bruder. War er jemals glücklich gewesen? Er führte ein sehr geregeltes Leben und war nach einer missglückten Ehe allein. Er war wie seine Wohnung, ordentlich und strikt. Bin ich wie er?, dachte sie. Worin lag der Unterschied? Das Leben einer Polizeibeamtin war vielleicht etwas abwechslungsreicher als das eines Buchhalters, aber eben auch geregelt. Und allein …
Sie dachte an den vergangenen Sommer, das Frühjahr und den Winter zurück. Ein langes Fieber, aus dem sie gerade erst erwacht war, eine Hitze, die ihren Körper befallen hatte. Die Hitze hatte zugenommen, nachdem sie von Martins Flehen um Zärtlichkeit gelesen hatte. In dem Augenblick, als sie kurz vor Weihnachten seine Mail beantwortet hatte, hatte sie ihren Widerstand aufgegeben. Sie hatte ihrer Hoffnung nachgegeben, dass sie wieder ein Paar werden würden und er seine Frau verlassen würde. Und er hatte ohne Zögern nach ihr gegriffen.
Im Februar waren sie auf eine Insel in der Karibik gereist. Die ersten zwei Wochen hatten sie in einem Meer aus Erotik, aus körperlicher Verschmelzung und totaler Abkapselung von der Umwelt verbracht. Elina hatte aufgehört nachzudenken und war nur noch von ihren Fantasien beherrscht worden.
Weitere Kostenlose Bücher