Der Sonntagsmann
erschien ihm für den Beginn einer neuen Lebensphase wichtig. Denn so betrachtete er es, als eine neue Phase. Im kommenden Monat sollte die Verabschiedung stattfinden, die ganze Abteilung würde versammelt sein, und danach würde er sich selbst überlassen sein. Er glaubte nicht, dass ihm die Arbeit fehlen würde, obwohl er so erfolgreich gewesen war. In nur fünfzehn Jahren war er Rang um Rang die Karriereleiter hinaufgeklettert, mit Militär hatte das allerdings nichts zu tun. »Rang« war vielleicht der falsche Ausdruck, wenn es um eine Verwaltungskarriere im zivilen Bereich ging. Er schmunzelte darüber, dass er sein Schwedisch selbst in Gedanken korrigierte. Jeder Tag war ein Sprachtest! Er hatte aber wirklich Erfolg gehabt. Sich mit sechzig als Abteilungsleiter einer Behörde zur Ruhe zu setzen, war wirklich nicht übel.
Aber trotz allem konnte er sich eines leisen Gefühls des Bedauerns nicht erwehren. Hätte er rechtzeitig die richtige Bahn eingeschlagen, wäre er vielleicht sogar Generaldirektor geworden. Bei ihm herrschte Zucht und Ordnung, und nur wenige besaßen seine Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Das war ihm bei einem Vergleich mit anderen in seiner Stellung aufgefallen. Wie viele Memmen es doch gab! Schwach, sowohl was ihre intellektuelle Kapazität betraf, als auch hinsichtlich ihrer Tatkraft. Vermutlich musste man die richtige Veranlagung haben, die Einstellung war entscheidend! Es gefiel ihm, sich mit Fragen auseinanderzusetzen und anschließend zu entscheiden. Und er pflegte auch dafür zu sorgen, dass das, was er beschlossen hatte, durchgeführt wurde. Nicht nur Beschlüsse auf dem Papier, das war nicht sein Stil. Das hatte er im Ausland gelernt. Dort zählten nur Taten und Entschlusskraft. Einmal hatte man ihn auf einer Personalversammlung kritisiert. Sein Führungsstil sei zu autoritär, er würde seine Vorstellungen durchdrücken, ohne auf die Ansichten anderer Rücksicht zu nehmen. Er hatte geantwortet, er würde für Resultate bezahlt. Er sei bereit, sich sachliche Einwände anzuhören, seien diese jedoch nicht relevant, sei es seine Pflicht, eigenmächtig zu entscheiden.
Seine Vorgesetzten hatten auf ihn gehört. Mehrmals war er Mitglied einer Auswertungsgruppe gewesen. Der Generaldirektor hatte ihm spezielle Arbeitsaufträge erteilt. Obwohl er es nicht so weit gebracht hatte wie ursprünglich angestrebt, das konnte er sich jetzt schließlich am Ende seiner Karriere eingestehen, war er erfolgreich gewesen. Das würde ihm niemand nehmen können.
Er hörte, wie es klingelte und seine Tochter mit beiden Enkeln das Haus betrat. Er hörte Anita lachen. Er konnte sie verstehen. Die Enkel hatten ihr eine neue Aufgabe gegeben. Ein neues Familienleben sozusagen. Das war vermutlich nötig. Sie hatte es nicht immer so leicht gehabt, am allerwenigsten, seit ihre Tochter ausgezogen war. Wie ein Baum, den man einmal gepflanzt hatte und der nun die Sonne verdunkelte, war das Haus im Vorort zu groß geworden. Damals hatte alter Groll schnell seinen Schatten auf das Dasein geworfen. Sie hatte von Scheidung gesprochen, aber er hatte sie zum Bleiben überredet. Er hatte sie abwechselnd des Verrats bezichtigt und angefleht zu bleiben. Wie sie finanziell über die Runden kommen wolle, hatte er sie gefragt. Schließlich hatte sie nachgegeben. Jetzt waren fast zehn Jahre vergangen, seit sie zuletzt dieses Thema angeschnitten hatte. Bei dem Gedanken an die Umstellung und daran, dass er keinen Arbeitsplatz mehr haben würde, an den er zurückkehren konnte, wurde es ihm richtig mulmig. Diese ganze gemeinsame Zeit. Worüber sollten sie sich unterhalten? Und dieses Eheliche, Fleischliche, damit war nicht viel. Nicht mehr in ihrem Alter. Damit war auch nie viel gewesen. Nach der ersten Verliebtheit war es mit dem meisten irgendwie zur Neige gegangen. Aber sie gehörte ihm. Er hatte sie immer behalten wollen.
Er hatte viel über seine Zukunft nachgedacht. Er fühlte sich nicht alt, auch wenn er nicht mehr so viel Energie besaß wie früher. Vielleicht konnte er in seiner Branche als Berater tätig werden oder seine kurze, abgebrochene politische Karriere wieder aufnehmen? Aber die Parteien wollten in letzter Zeit nur noch junge Leute. Und selbst wenn ihn irgendeine weniger altersfixierte Parteigruppierung wieder aufnähme, würde es trotzdem viel zu lange dauern, bis er eine wirklich einflussreiche Stellung bekleiden konnte. Davon, Wahlzettel auszuteilen und Stimmvieh im Gemeinderat zu sein,
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