Der Sonntagsmann
städtische Kinderbetreuung, aber Sie wollten doch mit mir über Ylva Malmberg sprechen und nicht über mich.«
»Ich versuche zu begreifen, wer sie war. Können Sie nicht ein wenig von ihr erzählen?«
Mikaela Andersson lehnte sich zurück und holte etwas tiefer Luft. »Obwohl wir uns zwei Jahre lang kannten, wurde ich nie recht schlau aus ihr. Sie schien aus zwei verschiedenen Menschen zu bestehen. Im einen Moment sehr zielstrebig und stark, im nächsten total nachgiebig und unterwürfig. Ich habe miterlebt, wie das je nach Gesprächspartner unterschiedlich war. So verhielt sie sich Mitschülern gegenüber beispielsweise energisch, Lehrern gegenüber unterwürfig. Am nächsten Tag konnte es genau umgekehrt sein.«
»Wie erklären Sie sich das?«
»Wenn ich das wüsste. Aber sie war einfach so. Vielleicht lag es daran, dass sie so viel wollte, aber nicht recht wusste, was. Gleichzeitig war sie ganz nett, und wir hatten ähnliche Interessen. Wahrscheinlich wurden wir deswegen auch Freundinnen.«
»Um welche Interessen handelte es sich?«
»Wir interessierten uns für Entwicklungsländer. Die meisten aus der Klasse wollten den Armen in der Dritten Welt helfen. Wir waren sehr idealistisch und träumten davon, bei irgendeinem Projekt in Afrika oder Asien mitzuarbeiten. Aber keine von uns kam jemals weg. Ich blieb hier hängen, und Ylva … tja …«
»Wohin wollte Ylva denn? Hat sie das gesagt?«
»Nach Indien. Sie war bereits dort gewesen und fand die große Armut erschreckend. Ich erinnere mich, dass sie von einem Dorf erzählt hat, in dem es nur einen Brunnen und keine Toiletten für Frauen gab. Sie durften erst nach Einbruch der Dunkelheit aufs Feld gehen.«
»Und die Männer? Wie ging Ylva mit Männern um?«
»Auch so, fand ich. Sie konnte Typen gnadenlos abblitzen lassen, aber manchmal war es auch umgekehrt, sie klammerte sich förmlich an sie. Wenn ich ehrlich sein soll, dann war es mit ihrem Selbstwertgefühl nicht weit her. Sie hatte jedenfalls ein miserables Selbstbewusstsein. Und ich glaube, dass das ziemlich viele Typen ausgenutzt haben.«
»Können Sie ein paar Namen nennen?«
»Ich erinnere mich an einen, der Petter hieß, mit dem war sie eine Zeitlang zusammen. Aber die meisten Namen habe ich vergessen. Vielleicht würden sie mir wieder einfallen, wenn ich ein Klassenfoto vor Augen hätte.«
Elina fluchte, weil sie das Foto vergessen hatte, das in den Akten lag.
»Dann wurde sie schwanger«, fuhr Elina fort. »Wenn Sie ihre beste Freundin auf der Schule waren, warum hat sie Ihnen nicht erzählt, wer der Vater war?«
»Das war wirklich merkwürdig. Ich habe natürlich gefragt. Aber sie sagte kein Wort. Sie wollte nicht mal erklären, wieso. Ich lag ihr deswegen auch nicht in den Ohren, denn sie machte sehr deutlich, dass sie darüber nicht sprechen wollte.«
»Haben Sie eine Theorie, weswegen?«
»Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt, lautet, dass sie nicht wusste, wer der Vater war. Dass mehrere in Frage kamen.«
Elina nickte. Natürlich, so konnte es gewesen sein. Es war ihr peinlich, dass ihr dieser Gedanke gar nicht gekommen war. So viel waren ihre »Augen einer Frau« also wert. Aber welche Männer kamen in Frage? Der Mann für sonntags? Der unbekannte N? Oder handelte es sich dabei um ein und dieselbe Person? Konnte es sich um einen von Ylvas vielen zufälligen Liebhabern handeln? Das Gefühl der Unsicherheit wurde von einer gewissen Erregung abgelöst. Eine neue Hypothese. Andere Väter. Elina war einen Schritt weiter gekommen in ihren Überlegungen, hatte eine neue Spur, der sie folgen konnte.
»Könnte das auch der Grund dafür gewesen sein, dass sie nach der Geburt des Kindes verschwand? Was glauben Sie? Vielleicht wollte sie einer unangenehmen Situation entkommen?«
Mikaela Andersson schwieg einen Augenblick. »Darüber habe ich auch recht viel nachgedacht. Aber warum sollte sie nach der Geburt des Kindes verschwinden? Da hätte man die Vaterschaft auch ermitteln können, wenn es darum ging. Ich habe eher das Gefühl, dass es einen anderen Grund gab. Zu mir hat sie nichts gesagt, nur dass sie die Schule an den Nagel hängen wollte, weil es im Monat vor der Geburt zu beschwerlich wurde, immer nach Tärna und wieder zurück zu fahren. Dann ließ sie nichts mehr von sich hören. Ich klingelte am Tag nach ihrer Abreise an ihrer Tür. Ich wusste von nichts, aber ein Nachbar sagte, sie hätte mit Kinderwagen und einer Reisetasche das Haus verlassen.«
»Sie haben das
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