Der Sonntagsmann
Manchmal, wenn sie mit Männern schlief, wirkte es, als würde sie sie ausnutzen, manchmal schien es aber auch umgekehrt zu sein. Ausgewogen wirkten ihre Beziehungen nie.«
»Ganz typisch also«, meinte Nadia.
»Wie meinst du das?«
»Ich erkenne mich in deiner Beschreibung wieder. So war es bei mir auch, bevor ich erwachsen wurde. Und erwachsen wurde ich erst, als ich Nina bekam. Da blieb mir einfach nichts anderes übrig.«
»Dabei bist du dir bei allem immer so sicher!«
Nadia lachte ironisch. »Warst du nicht auch so? Eben noch ganz eisern, im nächsten Augenblick nachgiebig. Hast du dich nicht auch mal von einem Mann zu sehr dominieren lassen, und das nachher gar nicht begreifen können?«
»Woher wusstest du das?«, fragte Elina.
»Ich wusste es nicht. Ich habe geraten. Es war also so?«
»Ich wollte eigentlich nie darüber sprechen. Sich so unterbuttern zu lassen wie ich, ist eine Schande, die man nie wieder los wird.«
»Erzähl.«
Elina zögerte. »Der Wahrheit ins Gesicht zu sehen ist mir sehr schwer gefallen. Allein der Gedanke daran schmerzt.«
Nadia nahm ihre Hand. »Erzähl schon.«
»Ich war neunzehn, und er war, glaube ich, schon siebenundzwanzig. Er hat mich total beeindruckt, richtig lächerlich. Er war cool. Es ging sofort los. Er gab zu allem, was ich tat, seinen Kommentar ab. Er kritisierte oder lobte mich. Damals war mir das nicht bewusst, aber mein gesamtes Selbstbild hing von ihm ab. Unabhängig von ihm gab es nichts. Dann versuchte er zu ändern, was ihm nicht passte. Wurde sauer oder strafte mich mit Nichtachtung, wenn ich seine Anweisungen nicht befolgte. Außerdem hielt er mich davon ab, Freunde, also die Männer, später auch Freundinnen zu treffen, wenn er nicht mit dabei war. Er versuchte alles zu kontrollieren, was ich tat. Nicht einmal, wenn er die Hand hob, um mich zu schlagen, begriff ich, wie verkehrt das war. Er tat es nie. Die Drohung reichte.«
Elina schüttelte den Kopf. »Wie konnte ich nur?«
Nadia nahm sie in die Arme. »Du denkst, es war deine Schuld. Du hättest das nicht geschehen lassen dürfen. Und dann glaubst du, dass du die Einzige auf der Welt bist, die sich freiwillig selbst verleugnet hat.«
Nadia sah Elina an. »Aber bei mir war das genauso. Und bei dieser Ylva auch. Alle Frauen, die ich kenne, sind irgendwann mal in diese Situation geraten.«
»Nicht alle«, erwiderte Elina.
»Doch, alle. Jedenfalls fast. Die meisten machen noch rechtzeitig einen Rückzieher, aber einigen gelingt das nicht. Oder sie haben Pech und kommen einfach nicht los. Aber die Männer verstehen nicht, wie das ist. Das ist zu weit von ihrer Welt entfernt.«
»Ich habe herausgefunden, dass er eine andere hatte. Da brach alles zusammen. Ich hatte mir eingebildet, dass er nur so besitzergreifend war, weil er mich liebte, aber ihm ging es nur um die Kontrolle. Als ich ihn zur Rede stellte, stritt er alles ab. Dann flehte er mich an. Zum Schluss bedrohte er mich.«
Sie hielt inne, schluckte und schwieg. »Ich habe es nicht geschafft, mich jemandem anzuvertrauen und mir helfen zu lassen. Da hätte ich dann ja erzählen müssen, was ich ihm alles erlaubt hatte. Das wäre für mich fast noch schlimmer gewesen. Glaubte ich jedenfalls damals. Es dauerte mehrere Jahre, bis ich endlich einsah, wie falsch das war. Aber da war es schon zu spät.«
Sie erhob sich vom Sofa und ging im Zimmer auf und ab. Nadia wartete.
»Ich verachtete mich so sehr, dass ich mich kaum noch im Spiegel anschauen konnte. Je länger ich schwieg, desto schwerer fiel es mir, die Sache hinter mir zu lassen. Aber Karate half mir dabei. Ich wollte in der Lage sein, mich wenigstens in körperlicher Hinsicht verteidigen zu können. Später entschloss ich mich, Polizistin zu werden, um zu verhindern, dass andere in meine Situation gerieten. Aber ich habe das Gefühl, dass diese Geschichte mein ganzes Leben überschattet. Eigentlich hätte ich etwas ganz anderes machen, einen anderen Beruf ergreifen, anders leben wollen, die Person sein wollen, die ich wirklich bin und nicht die, die aus mir wurde.«
»Und die Ereignisse im Frühjahr, diese ganzen Typen?«, fragte Nadia. Elina ließ sich wieder neben ihr auf das Sofa fallen.
»Ich weiß nicht … irgendwie ist mir alles entglitten und aus mir wurde wieder dieses geduckte Wesen, das ich einmal gewesen war. Aber nur nachts, wenn mich niemand sehen konnte … das Begehren kann wirklich alle menschlichen Konturen ausradieren. Es war so verlockend, die Verantwortung
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