Der Sonntagsmann
werden. Der erste Eintrag über Bernt, den Mann, in dessen Kollektiv sie später eingezogen war, datiert auf den 12. Februar desselben Jahres, einem Samstag: »Einen Supertypen kennen gelernt.«
»Durfte auf Bernts schmaler Matratze schlafen«, stand da nach der ersten gemeinsamen Nacht im Kollektiv. Knapp ein Jahr später ließen sich die ersten Konflikte mit Bernt erkennen. »Ich will zu Kajas Party, aber B will nicht. Manchmal ist er einfach so blöd.« Je mehr Elina las, desto ersichtlicher wurde, wie sehr er Ylva unterdrückt hatte. Ylvas Selbstbewusstsein schwand, und sie suchte alle Fehler bei sich. Erst im dritten Jahr im Kollektiv begann sie ein wenig aufzubegehren.
»Ich scheiße auf Bernt. In Zukunft mach ich nur noch, was ich selber will.« Aber auch: »Keine Kraft« und »supertraurig«. Tina Möllers Behauptung, Ylva habe im Kollektiv mit allen geschlafen, wurde von den Tagebüchern nicht bestätigt. Außer in einem Fall, nach einem Streit mit Bernt: »Rächte mich mit L in seinem Bett, als T unterwegs war.« Elina fragte sich, ob T wohl Tina Möller gewesen sei.
Die letzte Zeit im Kollektiv war sehr knapp beschrieben. Bernt wurde fast gar nicht mehr erwähnt. Von dem Umzug war folgendermaßen die Rede: »Habe die Wohnung an der Ringgatan gekriegt. Wunderbar.«
Die Tagebücher wurden immer knapper, fast unpersönlich. Meist handelte es sich nur noch um einfache Notizen darüber, was sie am Tag getan hatte. Erst als sie mit »Peter und Kaj« im Sommer 1976 eine Interrail-Reise durch Europa unternahm, wurden die täglichen Eintragungen wieder ausführlicher. Elina fragte sich, ob der Reisegefährte Kaj Nilsson dieselbe Person war wie »Kaja«, dessen Party Ylva hatte besuchen wollen. In diesem Fall war Bernts Eifersucht vielleicht sogar berechtigt. Bereits eine Woche nach der Abreise war folgender Eintrag zu lesen: »Schlief mit Kaj im Schlafsaal eines Grachtenboots, obwohl eine Menge andere Leute um uns herum waren.« Die körperliche Vereinigung hatte in Amsterdam stattgefunden. Der andere Reisegefährte Peter Fäldt hatte offenbar den Kürzeren gezogen, falls er überhaupt auf Ylva als Bettgefährtin während der Reise scharf gewesen war.
Der Beschluss, die Reise bis nach Asien auszudehnen, war gefallen, nachdem alle drei einen Monat lang in Savona in Italien in der Spülküche gearbeitet hatten. Im Januar 1977 hatten sie Indien erreicht. Ylva schrieb über Heimweh und Durchfall, schien aber wieder munterer geworden zu sein, als sie und ihre beiden Reisegefährten schließlich auf Goa, ihrem ersten Reiseziel in Indien, eingetroffen waren. Ende Februar fuhren alle drei zunächst nach Delhi und eine Woche später weiter ostwärts.
Der letzte Tagebucheintrag war auf den 11. März 1977 datiert. »Einen Typen im Ganges Hotel in Varanasi kennen gelernt. Wir beschlossen, gemeinsam nach Patna weiterzureisen.«
Das war alles. Eine Fortsetzung gab es nicht und auch keine Erklärung dafür, warum sie plötzlich aufgehört hatte, Tagebuch zu führen. Als sie im Herbst desselben Jahres an der Tärna Folkhögskola begann, machte sie sich zwar immer noch Notizen in ihrem Taschenkalender, aber mit dem Tagebuchschreiben war es definitiv vorbei.
Elina fragte sich, warum Ylva eine über zehn Jahre alte Gewohnheit aufgegeben hatte. Auch die Vernehmungen mit Peter Fäldt und Kaj Nilsson lieferten keine Erklärung dafür. Elina griff sofort zum Telefonhörer, sie hatte sich mit dem widerwilligen Peter Fäldt auf ein Gespräch im Verlauf der Woche geeinigt. Aber als er den Hörer abnahm, zögerte sie eine Sekunde. Dann sagte sie: »Entschuldigung, ich habe mich verwählt.« Zehn Minuten später fuhr sie die E 18 Richtung Uppsala entlang.
Peter Fäldt wohnte in Gottsunda. Elina hatte von diesem Vorort schon gehört, war aber noch nie dort gewesen. Sie musste eine Weile suchen, bis sie das richtige Hochhaus fand. Nach dreimaligem Klingeln wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. »Ja, bitte?« Elina konnte sein Gesicht nicht sehen.
»Elina Wiik. Ich komme von der Kriminalpolizei. Ich würde mich mit Ihnen gern über Ylva Malmberg unterhalten.«
Der Mann hinter der Tür schwieg einen Augenblick. »Wir wollten doch telefonieren.«
»Stimmt«, meinte Elina, »aber jetzt bin ich doch hier. Würden Sie vielleicht so freundlich sein, mich eintreten zu lassen?«
»Sie können hier nicht reinkommen.«
»Warum nicht.«
»Bei mir ist nicht aufgeräumt.«
»Das macht nichts. Würden Sie jetzt bitte aufmachen?«
»Das
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