Der Sonntagsmann
Badeplatz. In einem Schuppen befand sich eine Toilette, und ein Schild erläuterte, welche Regeln beim Zelten zu beachten waren. Robert drückte die Klinke der Toilettentür hinunter. Sie war nicht abgeschlossen, und im Inneren sah es sauber und ordentlich aus.
»Ich stelle das Zelt auf«, sagte er. Kari protestierte nicht.
Am Abend wurde Kari krank. Zitternd lag sie im Zelt auf ihrer Luftmatratze. Robert fragte, ob sie wieder seekrank geworden sei oder ob sie Fieber habe, aber sie schwieg. Robert legte seine Jacke über Karis Schlafsack. »Morgen können wir richtig mit der Suche beginnen. Natürlich nur, wenn du magst. Es gibt sicher viele Leute, die wir fragen können.«
Kari lag schweigend da. Sie zitterte immer noch. Erst gegen Morgen kam sie zur Ruhe und schlief erschöpft ein.
25. KAPITEL
Eine schwache Brise streifte Elinas Gesicht, als sie ihr Haus in Oxbacken verließ. Das Wetter war umgeschlagen und es roch nach Spätsommer. Der Himmel war blau.
Es war Montagmorgen, der 13. September. Am Vorabend hatte Elina Oskar Kärnlund im Krankenhaus besucht. Er wurde bald entlassen, um den Termin für die Operation zu Hause abzuwarten. Lange hatte sie an seinem Bett gesessen und von der Ermittlung erzählt. Er schien ihre Anstrengungen zu schätzen und sie geradezu als einen Freundschaftsdienst zu betrachten.
Sobald sie im Präsidium eintraf, schloss sie die Tür ihres Dienstzimmers hinter sich. Sie hatte nicht vor, an der Morgenbesprechung teilzunehmen. Sie wollte den anderen vom Dezernat nicht erläutern, womit sie sich beschäftigte. Das Risiko, dass die anderen finden könnten, sie versuche sich nur beschwerlichen Pflichten zu entziehen, war ihr zu groß.
Sie nahm sich Ylva Malmbergs Tagebücher vor und sortierte sie in chronologischer Reihenfolge. Acht Bücher mit verschiedenfarbigen Einbänden. Das erste war auf den Herbst 1965 datiert. Elina schlug es auf und las das Vorsatzblatt: »Dieses Tagebuch gehört Ylva Malmberg. Blättern verboten!!!« Elina hatte das Gefühl, als betrete sie unbefugt ein Sperrgebiet.
Der erste Eintrag stammte vom 30. September 1965. Ylvas elftem Geburtstag. Das Tagebuch war ein Geschenk gewesen. Elina fragte sich, wer es gekauft hatte. Sie schien es sich gewünscht zu haben. Zu Anfang gab es viele Einträge. Dann wurde der Text lückenhafter, manchmal verging eine Woche, ohne dass sie etwas notierte. Gegen Ende des Jahres war das Schreiben jedoch zu einer Gewohnheit geworden, und sie hatte jeden Tag etwas aufgeschrieben. Die Handschrift war ordentlich, aber noch unpersönlich. Auf mehreren Seiten fanden sich kleine Zeichnungen; Mädchen mit langem blonden Haar, Herzen, Pferde und Katzen. Das Buch erlaubte einen tiefen Einblick in das Leben einer Elfjährigen. An Lucia, dem 12. Dezember, hatte Ylva Lars-Erik aus der 5 b gefragt, ob er mit ihr gehen wollte. Er hatte es nicht gewagt zu antworten. Die Seite, auf der sie das aufgeschrieben hatte, war von den Tränen, die sie darüber vergossen hatte, fleckig und zerknittert.
Elina las rasch die Tagebücher der ersten Jahre. Am stärksten beeindruckten sie die bewegten Gefühle den Freundinnen, Mitschülern, Lehrern und Tieren gegenüber. Sie stieß jedoch auf nichts, was sie nicht auch selbst in diesem Alter hätte schreiben können. Ylva war nicht anders als andere Mädchen gewesen. Sie hatte ihre erste Regel mit dem Kommentar »eklig« vermerkt.
Die Scheidung ihrer Eltern 1968 hatte sie folgendermaßen kommentiert: »Ich hasse Papa.« Darauf folgten eine Menge Ausrufungs- und ein Fragezeichen. Einen Monat später schrieb sie, ihre Mutter wolle ihren eigenen und Ylvas Nachnamen ändern, aber Roger sei dagegen. Im Herbst dieses Jahres hatte sie zum ersten Mal »H« geraucht, »mit Bella und Leffe«. »Meine Güte, was Bella und ich kicherten. Wir konnten einfach nicht mehr aufhören.« Der Name Leffe tauchte in diesem Herbst mehrfach auf. An seinem siebzehnten Geburtstag war bei ihm sturmfreie Bude gewesen, und sie hatten zusammen »fast alles« gemacht. An einem Dezembertag war es mit ihrer Unschuld vorbei gewesen. Die Begebenheit wurde sachlich und gefühllos notiert, obwohl es sich um einen großen Wendepunkt ihres Lebens gehandelt hatte.
»Habe die Schule wirklich über« tauchte immer wieder in verschiedenen Varianten auf, bis sie im Frühjahr 1972 vom Gymnasium der Celsiusschule abging. Die Versuche ihres Bruders Roger, sie dazu zu überreden weiterzumachen, waren es offenbar nicht wert gewesen, überhaupt notiert zu
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