Der Sonntagsmann
hinter einer Tür auf dem Gang. Dieser Typ hatte ein Auto, mit dem er nach Patna fahren wollte. Das lag auf halbem Weg nach Kalkutta. Er fragte also Ylva, ob sie mitkommen wollte. Sie sagte, dass er uns in diesem Fall ebenfalls mitnehmen müsste, also Kaj und mich.«
»Wie hieß er?«
Peter Fäldt schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Der Name ist ganz weg. Ich habe mich kaum mit ihm unterhalten. Er war ein Schwachkopf. Wir fuhren nachmittags los, daran erinnere ich mich noch. Die Straßen waren miserabel, und dann wird es auch verdammt schnell dunkel. Als würde jemand ein Rollo herunterlassen. Abends hielten wir irgendwo an, um zu essen. So ein Lokal, wo sie auf Kohlenbecken kochen und wo man draußen sitzt und isst, allerdings unter einem Dach. Ich hätte dort auch gerne übernachtet, direkt nebenan gab es ein paar billige Zimmer. Aber die anderen wollten weiterfahren. Ich begreife nicht, warum. Nachts war es wirklich unheimlich, keine Straßenlaternen und alle fuhren wie die Verrückten. Überall in den Straßengräben lagen umgekippte Lastwagen.«
Elina saß schweigend auf dem Sofa und hörte zu. Sie wollte seinen stockenden Bericht nicht durch Fragen unterbrechen.
»In Indien gibt es unzählige Menschen, sie sind überall. Aber nur, wenn es hell ist. Nachts beherrschen die wilden Hunde auf dem Land alles. Diese Hunde sind wie Wölfe, sie streifen in hungrigen Rudeln umher. Die Dörfer sind dunkel, die Leute trauen sich nicht auf die Straße. Es ist so warm, das können Sie sich gar nicht vorstellen, der Schweiß läuft einem runter, die Augen brennen vom Salz, und die Kleider kleben. In dieser Nacht … ich glaube, es war gegen elf, wir waren weitergefahren, obwohl ich anhalten wollte. Plötzlich knallten wir irgendwo gegen, wie gegen einen Sack Reis oder ein Schaf. Ylva schrie … wir hielten an und stiegen aus, und dann lag er da.«
»Wer?«
»Der Junge. Er kann nicht älter als zehn gewesen sein. Ich begreife nicht, was er so spät noch auf der Straße zu suchen hatte. Das Licht der Scheinwerfer ruhte auf ihm, er sah vollkommen unverletzt aus, kein Blut. Er sah aus, als schliefe er. Wir waren ratlos, also fasste ich an sein Handgelenk.«
»Und?«
»Mausetot. Kaj fühlte seinen Puls ebenfalls. Wir schrien um Hilfe, aber niemand hörte uns. Es war alles schwarz. Ich wollte ihn in ein Krankenhaus bringen, aber der Typ mit dem Auto meinte, dass wir dann nur Probleme mit der Polizei bekommen würden. Er sagte, dass sie uns ins Gefängnis stecken würden, obwohl wir unschuldig waren, denn das waren wir, es war ein Unfall, nichts anderes. Also … trugen wir ihn runter in den Graben.«
»Sie ließen den Jungen am Straßenrand zurück?«
»Ich weiß, ich weiß, das war eine Schweinerei, ich war dagegen, aber wir standen total unter Schock. Ich habe deswegen immer noch Alpträume, meine Nerven haben darunter sehr gelitten.«
»Wer saß am Steuer?«
»Ich bin mir nicht mehr sicher, glauben Sie mir, alles verschwimmt in meiner Erinnerung. Aber ich war es nicht, das weiß ich sicher, ich saß auf dem Rücksitz.«
»Wer, glauben Sie, saß am Steuer?«
»Ich glaube, es war Ylva.«
»Männer lassen sich doch nicht von der einzigen Frau chauffieren?«
»Wir hatten Hasch geraucht, vielleicht hatten wir auch zu viel geraucht und waren nicht mehr in der Lage zu fahren. Ich erinnere mich nicht mehr. Aber ich glaube, dass Ylva in dieser Nacht fuhr.«
Elina lehnte sich zurück. Wieder hatte sie etwas erfahren, was nicht in den alten Vernehmungsunterlagen stand.
»Das war eine furchtbare Sache«, meinte sie. »Warum haben Sie nicht früher davon erzählt?«
»Weder Kaj noch ich wollten anschließend darüber reden. Es war wirklich fürchterlich. Wir haben es sozusagen verdrängt. Ich will immer noch nicht darüber reden, aber Sie haben mich ja gezwungen.«
Sein Blick bekam plötzlich etwas Aggressives, aber die Glut erlosch ebenso schnell, wie sie aufgeglommen war.
»Und Ylva?«, meinte Elina. »Wie hat sie reagiert?«
»Sie war genauso geschockt wie ich. Was später war, weiß ich nicht, wir haben uns anschließend kaum noch gesehen. Und als die Polizei uns ihretwegen verhört hat, war sie ja schon tot.«
»Was haben Sie nach diesem Vorfall getan?«
»Wir hatten alle keine Lust mehr, die Reise fortzusetzen. Wir fuhren mit dem Auto nach Patna, aber in meinem Kopf herrschte totales Chaos. Ein paar Tage später fuhren wir mit dem Zug zurück nach Delhi. Kaj und ich bekamen Geld von unseren Eltern, und Ylva
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