Der Sonntagsmann
Zeit geschwiegen, und Robert hatte es nicht gewagt, ein Wort zu sagen. Schließlich hatte er ihr den Zettel mit den Namen unter die Nase gehalten.
Robert lächelte und ließ sich mit der Antwort Zeit. Er wollte ihr imponieren.
»Ich habe ein Fenster geöffnet und bin reingeklettert.«
»Du hast ein Fenster geöffnet? Wie das? Und wann?«
»Heute Nacht. Entschuldige, dass ich einfach losgefahren bin, als du geschlafen hast. Es war kein Problem, das Fenster aufzubekommen, und die Mappe lag immer noch auf seinem Schreibtisch. Es hat mich keiner gesehen.«
»Du bist ja nicht ganz bei Trost«, meinte Kari.
Roberts Miene verfinsterte sich. »Ich habe das deinetwegen getan.«
Kari merkte ihm seine Enttäuschung an. Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihm zu. Roberts Gesicht hellte sich wieder auf. Sie schaute auf die Namen auf dem Zettel.
»Wer von denen ist tot? Stand das auch irgendwo?«
»Nein.«
»Wie sollen wir an die drankommen?«
Robert zuckte mit den Achseln. Kari betrachtete den Zettel ein weiteres Mal. »Vielleicht mit Hilfe des Telefonbuchs«, meinte sie. »Stehen in norwegischen Telefonbüchern überhaupt Adressen?«
»Das lässt sich schnell feststellen.«
Robert merkte, dass Kari zögerte.
»Wir müssen es tun«, meinte Robert. »Stell dir vor, einer von ihnen ist dein Vater!«
Kari wich zurück. Sie öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut über die Lippen.
»Hast du an diese Möglichkeit gar nicht gedacht?«, meinte Robert und ergriff vorsichtig ihre Hand. Sie lag ganz heiß in seiner, und er betete unhörbar und inständig darum, dass sie sie nicht wegziehen würde. Aber sie ließ ihn gewähren. »Ich habe darüber nachgedacht«, fuhr er fort. Als sie nicht antwortete, trat er einen Schritt näher an sie heran.
»Du glaubst ja auch, dass die Person, die dich auf die Treppe gelegt hat, wusste, dass Reidar und deine Adoptivmutter sich ein Kind gewünscht haben, aber keine eigenen bekommen konnten. Die Pflegesöhne wohnten doch im Haus, sie müssen das mit den Kindern doch mitbekommen haben.«
Kari sah ihn erschrocken an.
»Diese Jungs waren auf die schiefe Bahn geraten«, sagte Robert. »Stell dir vor, einer von denen hat vielleicht einem sehr jungen Mädchen ein Kind gemacht, um das sie sich dann nicht kümmern konnten. Also legten sie es einfach auf Reidars Treppe ab. Das ist nur eine Vermutung, aber so könnte es schließlich gewesen sein. Ich finde auch, dass dir dieser Bursche auf dem Foto, Leif Oskar, irgendwie ähnlich sieht.«
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Kari und sah Robert an. Ihre Unterlippe zitterte.
»Wir sehen im Telefonbuch nach, wo sie wohnen. Dann fahren wir hin und sehen sie uns an. Erst mal auf Abstand und ohne dass sie uns bemerken.«
»Wieso das?«
»Um herauszufinden, ob dir einer von ihnen ähnlich sieht natürlich.«
Kari brach in Tränen aus. Robert nahm sie in die Arme. Sie schmiegte sich an ihn und schluchzte herzerweichend. Dann ließ er sie los und holte Papier aus dem Häuschen an der Straße. Kari schnäuzte sich. »Komm«, sagte er und zog sie zum Auto.
Sie hielten am Einkaufszentrum in Ramberg. In einem Blumengeschäft bat Robert darum, in das Telefonbuch schauen zu dürfen. Kari beugte sich über seine Schulter. Sie fanden einen Knut N. Einarsen, der in Reine wohnte.
»Karlsen, Karlsen …«, sagte Robert und suchte weiter. »Es gibt viele Karlsen, aber keinen Jens Paulus. Es gibt einen Jens B. Karlsen. Aber das ist wohl der Falsche. Vielleicht ist dieser Karlsen derjenige, der schon gestorben ist.«
Robert blätterte zum Buchstaben B zurück und fuhr mit dem Finger die Seiten herunter. »Leif O. Bjerre«, sagte er. »Er wohnt in Straum… Straumsjøen.« Er hatte Mühe mit dem Ortsnamen.
Kari fragte die Verkäuferin, wo Reine und Straumsjøen lagen. »Reine ist südlich von hier«, lautete die Antwort. »Nicht sonderlich weit. Einfach nur diese Straße entlang. Straumsjøen liegt auf der Langøya.« Die Verkäuferin zeigte es ihnen auf einer Karte. Langøya lag weiter nördlich auf den Lofoten.
»Mit wem sollen wir anfangen?«, fragte Robert.
Kari antwortete nicht.
»Spielt keine Rolle«, meinte Robert. »Reine ist näher. Aber vielleicht sollten wir bis morgen warten? Es ist wahrscheinlicher, dass wir ihn an einem Samstag zu Gesicht bekommen.«
Sie setzten sich ins Auto. Robert schlug vor, etwas zu unternehmen, was Spaß machte. Vielleicht nach Svolvsær reinfahren? Es war Freitag, und vielleicht gab es eine Musikkneipe.
»Du
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