Der Spezialist: Thriller

Titel: Der Spezialist: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith

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durchlebte eine Geburt. Was dort zur Welt kam, schwebte frei undgewichtlos, war aber dennoch stark genug, um seine Instinkte in eine Richtung und auf eine Vorgehensweise zu lenken. Schon einmal hatte er so etwas gespürt: Als er vor der baufälligen Mietskaserne in Harlem gestanden hatte, war ein Verlangen in ihm aufgestiegen, das von einer molekularen Ebene herzurühren schien. Diesmal spürte er dieses Verlangen erneut, eine Art genetischer Ruf – ein Gefühl, so gewaltig und stumpfsinnig wie eine Lawine, die alles vernichtet, was ihr im Weg ist.

3

    Harry Boddicker starrte zu den hell beleuchteten Netzen der Brooklyn Bridge hinauf, während ein Hubschrauber, der am tiefblauen Sommerhimmel wie ein riesiger Glühwurm aussah, den East River überflog.
    Dann warf er einen Blick auf den dunkelblauen Lieferwagen, der unter dem Franklin Delano Roosevelt Drive parkte. Der Jones befand sich im Laderaum: Geknebelt, gefesselt und mit Isolierband fixiert lag er in einem Aluminiumkoffer. Der Mann gehörte zu Carmines Schutzgeldeintreibern. Vor fünfzehn Minuten hatten drei von Carmines Männern ihn abgeliefert und Harry erzählt, dass sie handgreiflich werden mussten, als sie sich den Burschen geschnappt hatten – er bumste gerade seine Freundin in ihrer Wohnung. Jetzt hatte der Bursche zwei blaue Augen, eine gebrochene Nase und geprellte Rippen.
    Harry blieb nichts anderes übrig, als Geiger anzurufen. Als sie das letzte Mal einen beschädigten Jones erhalten hatten, einen kaufmännischen Direktor aus Providence, hatte Geiger sich endlos über erforderliche Zustände, kompromittierte Herkünfte und verminderte Potenziale ausgelassen, ohne dass er seine samtige Stimme ein einziges Mal hob oder senkte – und den Auftrag abgesagt. Hier ging es nur um zwölf Riesen, weil Carmine seinen üblichen Rabatt bekam, aber der Gedanke, dreitausend Dollar zu verlieren, schoss direkt von Harrys Hirn in seinen Magen und pumpte eine bittere, beißende Woge in seine Speiseröhre. Fünf Tage lang hatten sie keinen Job gehabt.
    Harry warf sich zwei weitere Pepcids gegen Sodbrennen ein.Was der kreidigen Mixtur der Tabletten auch hinzugefügt worden war, damit sie als »neu und verbessert« verkauft werden konnten, in seinem Magen vollbrachten sie keine Wundertaten, der grummelte so gereizt wie immer.
    Harry trat noch ein Stück weiter vom Wagen zurück und tippte abgehackt auf seinem Handy. Geiger würde nach dem dritten Klingeln rangehen. Nicht nach dem ersten oder zweiten, und auch nicht nach dem vierten. Immer nach dem dritten.
    »Was ist los, Harry?«, fragte Geiger.
    »Wegen heute Abend. Es gibt ein Problem. Beschädigte Ware.«
    »Details, Harry.«
    Harry seufzte. Er griff in die Tasche nach den Pepcids.
    »Ein Auge zugeschwollen. Nase gebrochen. Rippen vielleicht auch.«
    Nach einer kurzen Pause antwortete Geiger: »Ortswechsel, Harry. Schaff ihn in die Bronx.«
    »Gut«, sagte Harry und schloss erleichtert die Augen. Geiger lehnte den Auftrag also nicht ab.
    »Und nimm Propofol statt Brevimytal. Zwo Milliliter.«
    »Verstanden. Propofol. Zwei Milliliter.«
    ***

    Als Harry anrief, war Geiger im Garten hinter dem Haus und machte seine einarmigen Liegestütze – fünfzig auf dem linken Arm, fünfzig auf dem rechten, dann vierzig, dann dreißig –, während der Wind den Schweiß auf seinem nackten Körper trocknete. Der Garten bildete eine sieben mal fünf Meter große grüne Oase in der dichten Manhattaner Wüste aus geometrischem Ziegel und Asphalt. In der Mitte stand eine Eichenbank neben einer kümmerlichen Birke; auf drei Seiten riegelte ein hoher Holzzaun das Grundstück ab. Geiger hatte den Zaun aus mehr als einhundert Dreimeterlatten errichtet. Die Längsseite verliefparallel zur Rückwand des Hauses von Osten nach Westen, und Geiger hatte die Latten auf bestimmte Längen gekürzt und Umrisse ausgesägt, sodass der Zaun maßstabsgetreu die gezackte Skyline der Gebäude nachbildete, die hinter ihm aufragten – ein Kunstwerk, das ans Absonderliche grenzte.
    Geiger hatte sich mit der Akte des Jones beschäftigt und bereits ein Szenarium festgelegt. Wieder einmal kam der Auftrag von Carmine und betraf einen seiner Geldeintreiber – John »Jackie Cats« Massimo, ein harter Bursche in jeder Hinsicht. Er war zweiundvierzig, massig und muskulös und mit der Anwendung körperlicher Gewalt bestens vertraut. Als junger Mann hatte er einen Messerstich in die Brust abbekommen und war von einem Schrotschuss in den Oberschenkel