Der Spezialist: Thriller
von Delanottes breitem Mund zuckten nach oben. »Wollen Sie mich verarschen, Geiger?«
»Nein.«
»Sie wissen, wer ich bin, oder?«
»Ja, Mr. Delanotte. Ich habe von Ihnen gelesen.«
Delanottes Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Okay«, sagte er. »Erstens: Sie schlafen nie wieder in meinen Häusern. Zweitens: Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mich ins Bild gesetzt haben. Ich kümmere mich darum.« Er griff in sein Jackett und zog eine maulwurfgraue Lederbrieftasche heraus. »Sind fünfhundert ein faires Angebot?«
»Ich will Ihr Geld nicht«, sagte Geiger.
»Nein? Haben die kostenlosen Übernachtungen in meinen Häusern Sie so reich gemacht, dass Sie es nicht nötig haben?«
»Ich habe eine Frage.«
»Fragen Sie.«
»Wegen Ihrer Unterbosse. Wie werden Sie herausfinden, welcher Sie verraten will?«
Delanotte runzelte die Stirn. »Es stehen fünf oder sechs zur Auswahl. Ich kenne da jemanden. Er holt es aus ihnen heraus.«
»Ich könnte es tun«, sagte Geiger.
» Was könnten Sie tun?«, fragte Delanotte.
»Herausfinden, was Sie wissen müssen.«
»Und wie würden Sie das anstellen, Geiger?«
»Ich stelle Ihren Unterbossen Fragen, und sie sagen mir die Wahrheit.«
»Aha. Also befassen Sie sich mit der Wahrheitsfindung, wenn Sie keine Klos anschließen?«
»Mit Informationsabruf.«
Delanotte neigte den Kopf wie ein Hund, der einen Pfiff von weit weg hört. Er wog den Tonfall ab, in dem Geiger das Wort ausgesprochen hatte, ohne den leisesten Anklang von Ironie oder Sarkasmus.
»Informationsabruf« , dehnte Delanotte. »Kapiere. Also … was denke ich denn gerade?«
»Ich bin kein Gedankenleser, Mr. Delanotte.« Geiger drehte den Kopf nach rechts. Man hörte es deutlich knacken. »Aber Sie fragen sich wahrscheinlich, ob ich durchgedreht oder geistig zurückgeblieben bin.«
Wie ein Hai in seichtem Wasser lauerte Delanottes Grinsengleich unter der Oberfläche. »Nach einem Bewerbungsschreiben kann ich Sie wohl nicht fragen, was? Haben Sie Erfahrung im Informationsabruf? In der Wahrheitsfindung?«
»Wenn jemand mich anlügt, merke ich es. Das merke ich bei anderen schon, wenn ich sie nur sehe.« Geiger drehte den Kopf nach links. Wieder ein Knacken. »Sie sind Linkshänder«, sagte er.
»Stimmt. Woran merken Sie das?«
»An Ihren Augenbrauen.«
»So, so, an meinen Augenbrauen. Als Nächstes lesen Sie meine Hand und sagen mir die Zukunft voraus?«
»Ich weiß nicht, wie das geht. Aber ich weiß, dass Sie mit dem rechten Auge besser sehen als mit dem linken. Und an Ihrer rechten Hand sind Ihnen vor langer Zeit zwei oder drei Finger gebrochen worden. Sie tun Ihnen heute noch weh. Arthrose, nehme ich an.«
Delanotte bewegte unwillkürlich die Finger seiner rechten Hand und beugte sich zu Geiger vor, bis nur noch Zentimeter ihre Gesichter trennten.
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein verdammt seltsames Arschloch sind?«
»Ja. Viele Leute.« Geigers Finger zuckten über die Tischplatte. »Lassen Sie mich beim ersten Verhör dabei sein.«
Delanotte runzelte die Stirn und schenkte sich wieder Whiskey ein. Er starrte auf das Glas und rührte sich einen Moment lang überhaupt nicht, als lausche er auf das Flüstern von zehntausend Ahnungen – sein ganzes Leben gründete sich auf solche Augenblicke. Plötzlich leuchtete es in seinen Augen auf.
»Haben Sie ein Handy, Geiger?«, fragte er.
»Nein.«
»Besorgen Sie sich eins.«
***
Nachdem Geiger seine täglichen Übungen beendet hatte, ging er zurück ins Haus und stellte sich vor sein riesiges CD-Regal. Er hatte es selbst entworfen und gebaut. Es war quadratisch, mit fast zwei Metern Kantenlänge, und bestand aus edlem Kirschholz, hatte zehn offene Bretter auf Rollen und enthielt mehr als achtzehnhundert Disks. Geiger ließ den Blick über die CD-Hüllen schweifen, nahm Dumbarton Oaks von Strawinsky heraus, schaltete den Verstärker ein und schob die CD ins Abspielgerät. Aus den Hyperions drang eine leichtfüßige Folge von Violinklängen.
Er ging zu einer Tür und öffnete sie. Hinter der Tür befand sich ein kleiner Wandschrank mit einer Grundfläche von einem Meter zwanzig im Geviert, dessen Wände aus deckenhohen Spiegeln bestanden. Aus zwei Minilautsprechern drang die Musik in den Schrank.
Geiger starrte auf sein verdreifachtes Spiegelbild. Er war noch immer nackt. Er musterte die drahtigen Muskeln unter der straffen Haut, die schiefen Kniescheiben und die hervorstechenden Buckel außen an den Fußgelenken. Er
Weitere Kostenlose Bücher