Der Spiegel der Königin
Augenwinkeln erkennen, dass er sie ebenfalls betracht e te. Sie konnte sich vorstellen, was er sah: ein Edelfrä u lein, hergerichtet wie ein Paradepferd. Unbar m herzig hatte Lovisa heute an ihren Haaren gezerrt, um das Harz zu entfernen. Dann wurde ihr Haar in drei Partien geteilt, am Hinterkopf zu einem flachen Dutt hochg e steckt, den Lovisa als »Chignon« b ezeichnete. Rechts und links von der Schläfe fiel Elins Haar nun in gedrehten Locken he r ab und kitzelte ihre Wangen. Eine Stelle an ihrem Ohr, an der Lovisa sie mit einem heißen Metallstab versengt hatte, war rot und pochte.
Die Gemächer der Königin lagen direkt neben den Verwaltungsräumen. Unten, am Fuß der Treppe, leuc h tete wie ein verheißungsvoller Sonnenstrahl das Bild der nackten Schönheiten. Als die Tür endlich geöffnet wu r de, war Elin so sehr in den rosenfarbenen Frühlingswald vertieft, dass sie erst gar nicht bemerkte, wie die fri e renden Gestalten zum Leben erwachten. Gehorsam nahm sie Aufstellung und folgte den Sekretären durch die Tür.
Das Arbeitskabinett der Königin unterschied sich kaum von dem Raum in Uppsala, nur dass dieser hier größer war und mehreren Schreibern Platz bot. Die Se i tentüren, die in weitere Gemächer führten – vielleicht sogar direkt in die Privatgemächer der Königin – waren geschlossen. Kristina stand in ein Dokument vertieft n e ben ihrem Schreibtisch und hob kaum den Kopf, als die Eintretenden ihr mit einer tiefen Verbeugung ihre Au f wartung machten. Elin musste zweimal hinsehen, um sich zu überzeugen, wirklich die Königin vor sich zu h a ben. Sie wirkte noch kleiner, als Elin sie in Erinnerung hatte, und sah aus wie eine nachlässig gekleidete Bürg e rin. Ihre Haare waren offensichtlich in großer Hast hoc h gesteckt worden. Eine goldbraune Strähne hatte sich g e löst und fiel ihr auf die Schulter.
»Ach, das Fräulein Elin ist auch da.« Die Königin schenkte ihr ein Lächeln. »Und aufgezäumt hat man sie ebenfalls. Na, wie gefällt es dir im Kreise meiner Fra u en ? «
Zehn Augenpaare starrten Elin neugierig an. Beinahe hätte Elin die Frage ebenso unbefangen beantwortet, wie sie ihr gestellt worden war, aber dann fiel ihr ein, was Lovisa ihr eingebläut hatte: Rede vor unserer Königin nicht zu offen und beachte die Gebote der höflichen Konversation.
»Gut, Ihre Majestät«, antwortete sie. Die Königin ha t te sich bereits wieder in ihren Brief vertieft. An ihrem rechten Ärmel prangte ein frischer Tintenfleck.
»Aha. Und die Kandare haben sie dir auch schon zw i schen die Zähne gezwängt«, stellte sie fest. »Wo ist meine rebellische Scheuermagd geblieben?« Elin e r schrak über den Tadel in Kristinas Stimme. »Setz dich dort n e ben das Fenster«, befahl die Königin barsch. »Ich werde mich später mit dir befassen.« Elin knickste mit hochrotem Kopf und ging, von den Höflingen misstra u isch b e äugt, zu einem geschnitzten Stuhl mit einer durchgese s senen Sitzfläche. Dort verbrachte sie die Zeit damit, der Königin dabei zuzusehen, wie sie ihren Se k retären Briefe diktierte und mit gerunzelter Stirn Akten und einzelne Schriftstücke studierte. Es ging um die Friedensverhan d lungen in Deutschland, konnte Elin heraushören. Osn a brück und Münster spielten eine wichtige Rolle. Elin nutzte die Zeit, um sich die Kön i gin genau anzusehen. Um die Akten zu lesen, beugte sich Kristina tief über das Papier und kniff die Augen zusammen – so als würde sie auf die Ferne nicht gut sehen. In den wenigen Augenbl i cken, in denen sie saß und nicht im Kabinett auf und ab ging, fiel ihre schiefe Schulter besonders auf. Und als sie einmal neben Elin am Fenster stehen blieb, ragte u n ter dem Rocksaum die Spitze eines flachen Männerschuhs aus schwarzem L e der hervor. Elin konnte sich immer w eniger einen Reim auf die jun ge Königin m a chen. Frau Gudmund hatte oft gezetert, dass Kristina verschwendungs - und vergn ü gungssüchtig sei und das Geld mit vollen Händen für Tanz und französischen Pomp ausgebe. Diese konzen t rierte Frau in ihrem schlichten Kleid passte allerdings so gar nicht zu der B e schreibung – so wenig wie Emilias Vorstellungen von einem Leben bei Hofe. Als die Kön i gin schließlich die letzte Akte zuklappte, war es im K a binett schon hell geworden. Mehrere Stunden waren ve r gangen und Elin hatte sich keinen Augenblick gelan g weilt. Aber wenn sie gedacht hatte, dass sich die Königin nun endlich ihr z u wenden würde, hatte sie sich
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