Der Spiegel der Königin
Deutschland nicht weniger geschätzt werden als die seines Kollegen Salvius. Dennoch halte ich Salvius für einen begabten Mann.«
»Ich hoffe, diese Überlegung ist nicht Ihr Ernst«, en t gegnete der Reichkanzler steif. »Er ist ein Emporköm m ling, ein Bauernsohn, vergessen Sie das nicht. Seit jeher müssen die fünf höchsten Ämter des Reiches von schw e dischen Adelsherren bekleidet werden. Ebenso ist es mit den Vertretern des Reichsrats. Ihr seliger Vater wusste das. Vergessen auch Sie es nicht.«
»Weder meine noch Salvius ’ Vorfahren sitzen hier am Tisch«, sagte Kristina mit gutmütigem Spott. »Ich verla s se mich lieber auf die Verdienste und Fähigkeiten der Lebenden als auf deren Ahnenreihe. Jeder mag dort si t zen, wo er seine Fähigkeiten am besten zum Wohl für sein Land einsetzen kann.«
»So wie der junge de la Gardie?« Nun war es am Reichskanzler zu spotten. »Seine Verschwendungssucht, die er in Paris an den Tag legte, kostete Schweden ein Vermögen.«
Die Königin lachte.
»Ich gebe Ihnen völlig Recht. Aber wie Sie wissen, schätze ich Großmut und Freigebigkeit. Und ich bin der Meinung, dass Magnus genau diese Gaben zu unserem Nutzen eingesetzt hat, um das Verhältnis zu unserem Bündnispartner Frankreich zu stärken. Manchmal scheint ein Aufwand verschwenderisch zu sein, tatsächlich e r weist er sich auf lange Sicht aber als Sparsamkeit. Ve r trauen Sie mir, mein Kanzler!«
»Oh, ich vertraue Ihnen, meine Königin«, erwiderte der alte Adlige ruhig. »Sicher können Sie mich überze u gen, dass Frankreich nicht vorhat, lediglich bis zum let z ten Schweden zu kämpfen. Ebenso wie ich sicher bin, dass Sie mich von den besonderen Fähigkeiten dieses Bauernkindes hier überzeugen können und davon, dass es einen Platz in der königlichen Kanzlei verdient.«
Bei diesen Worten sah er Elin nicht an, trotzdem duc k te sie sich unwillkürlich. Schon seit einigen Minuten ha t te sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
»Ach ja, das Fräulein Elin meinen Sie.« Kristina nic k te. »Ich habe sie hergebeten, ja. Aber nicht als Secretar i us, wenn Sie das befürchten. Ich wollte sie anweisen, heute Nachmittag mit dem Reitunterricht zu beginnen.« Sie lächelte Axel Oxenstierna an und machte eine kuns t volle Pause. »Nach dem Julfest wird sie uns auf die Jagd begleiten.«
Wenn sie gesagt hätte, sie wollte Elin eine Krone schmieden lassen, hätte sie keinen besseren Effekt erzi e len können. Oxenstierna wurde erst blass, dann rot wie ein Flusskrebs im Kochtopf. Dennoch ließ er sich nicht zu einem Zornesausbruch verleiten. Elin fühlte sich in diesem Augenblick, als wäre der Stoff ihres Rocks, in den sie ihre Finger vergraben hatte, glühend heiß. Auf die Jagd! Die Jagd war das Privileg der Adligen. Aber Königin Kristinas Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie nicht vorhatte, Elin als Treiber mitzunehmen.
»Wie Sie meinen«, sagte der Kanzler eisig. »Hoffen wir, dass das Mädchen sich nicht das Genick bricht. Sie wissen ja: Je höher das Pferd, desto tiefer der Fall.«
Ohne Elin eines Blickes zu würdigen, verabschiedete er sich und verließ den Raum. Noch lange hörte man se i nen festen Schritt auf der Treppe. Die Königin ging um den Tisch herum und nahm langsam wieder Platz.
»Sie können gehen, Bengt«, befahl sie dem Sekretär. Sofort legte er die Feder beiseite und suchte seine U n terlagen zusammen. Erst als sich die Tür hinter ihm g e schlossen hatte, wich die Spannung aus dem Rücken der Königin und sie sank auf dem Stuhl zusammen – eine erschöpfte junge Frau. Zum ersten Mal seit Stu n den sah sie Elin an und schenkte ihr ein schwaches L ä cheln.
»Du hast es gehört«, sagte sie sanft. »Du wirst reiten lernen. Dein Lehrer wird Lars Melkebron sein. Er steht bei der Familie de la Gardie in Diensten.« Erwartung s voll sah sie Elin an. »Freust du dich nicht auf die Jagd?«
Elin räusperte sich. »Oh doch. Es ist eine große Ehre …«
»Ach, hör auf damit!«, fuhr die Königin sie an. Sie sprang vom Stuhl auf und verschränkte die Arme. »Ist es so leicht, dich abzurichten wie ein Hündchen? Wer hat dir das eingebläut? Diese alte Krähe Lovisa? Sag mir ehrlich, was du denkst, oder sag gar nichts. Dir geht es nicht gut, das sieht ein Blinder! Und was soll dieses a l berne Kleid? Meine Damen finden offenbar Gefallen daran, dich in ein Püppchen zu verwandeln.«
Elin schnappte nach Luft. Mit klopfendem Herzen stand sie langsam auf. So, auf gleicher
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