Der Spiegel der Königin
Augenhöhe mit der Königin, f ühlte sie sich etwas besser. Nun war es auch viel ei n facher, dem Befehl zu gehorchen. Kristina wollte die Wahrheit hören? Das konnte sie haben! »Es stimmt, M a jestät«, begann sie. »Ich … fühle mich wie ein verkleid e tes Schoßtier und ich ersticke in diesen Räumen, wo ich nicht arbeiten und noch nicht einmal Wasser trinken darf.« Zum ersten Mal an diesem Mo r gen hatte sie das Gefühl, wieder atmen zu können. Überrascht sah die Königin sie an. Elin wurde noch m u tiger. »Aber offenbar ist Lovisa nicht die Einzige, die mich wie ein Spielzeug b e handelt. Sie … haben mich nur herkommen lassen, weil es den Kanzler ärgert, mich hier zu sehen, nicht wahr?« Sie schluckte und fuhr fort. »Wahrschei n lich wollen Sie mich nur deshalb auf die Jagd mitne h men, um Herrn Oxenstierna zur Weißglut zu treiben.«
Königin Kristina brach in ein herzliches Lachen aus. Ihre Augen blitzten.
»Ich gestehe«, sagte sie. »Ja. Helga hat mir von der Begebenheit vor dem Bacchanal der Venus berichtet und ich konnte mir einfach nicht verkneifen zu sehen, was mein eiserner Kanzler sagt, wenn er mein neues Mündel hier sieht. Nun, ich hatte mit meiner Verm u tung Recht.« Sie wirkte plötzlich wie ein ganz gewöh n liches Mädchen, das einen Streich ausgeheckt hatte. »Ich habe dich an geschickter Stelle platziert – so wie das Bild am Fuß der Treppe. Er hasst meine Gemälde. Besonders das Bild der Venus, das du betrachtet hast. Man stelle sich vor – mitten im streng lutherischen Schloss eine heidnische Li e besgöttin, nackt aus dem Meer entstiegen!« Ihr Lächeln wurde breiter. »Mit di e ser Vermutung hattest du also Recht – aber niemals mit deiner Unterstellung, ich würde n och mit Puppen spi e len.« Mit energischen Schritten kam sie auf Elin zu und blieb nur eine Arme s länge entfernt abrupt vor ihr stehen. Auge in Auge standen sie sich am Fenster g e genüber: Elin, die Scheuermagd, herausg e putzt wie eine Prinzessin – und Kristina, die Königin von Schweden, mit tintenbeschmutztem Ärmel und ze r zaustem Haar. In ihren Augen spiegelten sich die Wo l ken eines strahlend blauen Winterhimmels.
»Wer bist du, Elin?«
»Das wissen Sie genau«, murmelte Elin gekränkt.
»Allerdings. Und wer bin ich?«
»Die … Königin.«
»Die Königin der Schweden, Goten und Vandalen, Großfürstin von Finnland, Herzogin von Estland und Herrin von Ingermanland. Ich spiele nicht mit Menschen, ich setze sie ein – es ist meine Pflicht, meine Aufgabe zu ihrem Wohl so gut wie nur möglich zu erfüllen. Könige sollen herrschen. Allen anderen ziemt es, ihre Befehle auszuführen und zu gehorchen. Und dich brauche ich für einen besonderen Auftrag.«
Elin hielt dem Blick der Königin stand, obwohl sich ihre Beine plötzlich anfühlten, als würden sie sie nicht mehr lange tragen.
»Sie können darauf vertrauen, dass ich mein Bestes geben werde«, sagte sie steif.
»Ich kann niemandem vertrauen«, erwiderte Kristina. »Liebst du dein Land, Elin ? «
»Natürlich, Majestät.«
»Ich liebe es auch. Du ahnst nicht, wie sehr. Und du ahnst nicht, wie schwer es ist, es zu regieren. Von allen Seiten zerren d ie Vertreter der Stände an mir – die Adl i gen ebenso wie die Bürger, die Geistlichen und die Ba u ern. Es ist, als würde man versuchen, gleichzeitig vier Pferde zu z ü geln, von denen dich jedes in eine andere Richtung schleifen will.«
Bei den letzten Worten war ihre Stimme lauter gewo r den, doch plötzlich schien sich die Königin wieder daran zu erinnern, wen sie vor sich hatte. Brüsk wandte sie sich ab, sah aus dem Fenster und seufzte tief. Elin knetete ihre Fi n ger.
»Majestät«, sagte sie leise. »Darf ich eine Frage ste l len?«
»Frag!«
»Axel Oxenstiernas Sohn führt im Namen von Schw e den die Friedensverhandlungen in Deutschland an?«
Kristina nickte, ohne sich Elin zuzuwenden.
»Johan Oxenstierna ist der echte Sohn seines Vaters – bis auf die Tatsache, dass ihm dessen politisches G e schick fehlt. Aber ich habe kaum eine Wahl.«
»Und … Adler Salvius gehört ebenfalls zu den G e sandten?«
»Ihn habe ich Johan an die Seite gestellt – er gehört zu meinen Königstreuen. Es ist schwer, gegen die Oxe n stiernianer zu bestehen. Immerhin hat der Kanzler die Mehrheit des Reichsrats und des Landes hinter sich.«
»Oxenstierna und der Rat wollen den Krieg nicht b e enden, nicht wahr?«
»Ich liebe den Frieden so sehr, wie mein Vater den Krieg liebte. Aber es
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