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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: balzon
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der beiden Pferde los und umarmte Elin so fest, dass ihr die Luft wegblieb. Ohne ein Wort zu wechseln stiegen sie auf die Pferde, passierten die Wachen an der Brücke, die Henri offenbar gut dafür bezahlt hatte, das Tor zu öffnen, und galoppierten bald darauf in den mi t ternächtlichen Wald. Elin kamen all die Feenmärchen in den Sinn, die Emilia ihr einst erzählt hatte. Ein wenig fühlte sie sich selbst wie eine Fee, als sie neben Henri hergaloppierte, während Tre Kronor längst hinter dun k len Vorhängen schlief. An einer Lichtung brachten sie ihre Pferde zum Stehen, stiegen ab und ließen sich auf das Gras sinken. Farne leuchteten in der hellen nord i schen Nacht. Eine Weile saßen sie einfach nur da, b e trachteten die Waldschatten und lauschten auf das Kn a cken im Unterholz. Dann fanden sich ihre Hände und sie rückten so nah zusammen, dass sie den Herzschlag des anderen spürten. Es war einfacher zu küssen als zu spr e chen, und so schwiegen sie. Jeder Streit war vergessen.
    »Ich habe dich so oft beobachtet«, flüsterte er ihr zu – viel später, als sie durch den Wald zurück zu den Pferden gingen, die Finger ineinander verflochten. »Damals, als du reiten g elernt hast. Erinnerst du dich? Das Pferd hat dich an diesem einen Nachmittag mindestens zwanzi g mal abgeworfen – und du bist immer wieder aufgesti e gen. Ich h a be dich für deine Hartnäckigkeit und deinen Mut gehasst. Aber heute …« Er lächelte ihr zu und küs s te sie, als wü r den sie sich nach diesem heimlichen Ausritt nie wieder sehen.
    Aber sie sahen sich wieder. Elin verlebte die Tage wie eine Schlafwandlerin die Nächte. Sie lernte mit Feuere i fer und machte ihre Arbeit in der Bibliothek so gut, dass die Gelehrten sie lobten und die Gerüchte langsam in Vergessenheit gerieten. Nachts aber verwandelte sie sich in eine andere Elin, eine Elin, die leuchtete wie ein Sommerfeuer und die keinen Schlaf brauchte. Und wä h rend die anderen Mädchen, wie es Brauch war, für die Mittsommernacht neun verschiedene Blumen sammelten und sie unter das Kissen legten, um von ihrem zukünft i gen Ehemann zu träumen, träumte Elin mit offenen A u gen von Henri und schlich sich wie ein Dieb aus dem Schloss.
    Während dieser nächtlichen Ausritte ließen sie sich in einem Meer von Farnblättern treiben und küssten sich, bis ihre Lippen pochten. Nach und nach fanden sie zw i schen ihren Umarmungen ihre Sprache wieder – und Elin lernte den Henri kennen, der ihr bis zu dem Tag in Ch a nuts Haus nur selten begegnet war.
    »Mein Land unterscheidet sich gar nicht so sehr von Schweden«, erzählte er flüsternd. Elin lag auf der Wiese. Henris Hände spielten mit ihrem Haar und unter ihrer Wange fühlte sie sein Herz schlagen. Bei Henri hatte sie nie Angst davor, die Augen zu schließen. »Es ist nicht so warm wie Italien, a ber die Farben über dem Meer sind wunderschön! Unsere Kirchen sind aus Granit gemacht – wie die Kli p pen auf Södermalm hier. Es ist ein raues Land mit rauen Leuten.«
    »So rau wie dein Vater?«, murmelte Elin.
    Henri schwieg lange, bevor er antwortete.
    »Nicht alle sind wie er«, sagte er schließlich leise. »Meine Mutter ist anders – sie hat ein großes Herz. Mein Vater dagegen ist ein Soldat, den der Krieg viel zu hart gemacht hat. Und er ist dünkelhaft, weil er ehrgeizig ist und dennoch seine politischen Ziele nicht erreichen konnte. Am Hof hat er sich durch seinen Ehrgeiz viele Feinde gemacht. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er Paris verlassen muss. Außerdem kann er sich die Hoc h zeit mich meiner Mutter nie verzeihen.«
    »Warum ? «
    »Ihr Erbe hat ihm nicht das Geld gebracht, das er sich erhoffte. Er ist der Meinung, unter seinem Stand geheir a tet zu haben. Jeden Tag lässt er sie spüren, dass sie eine schlechte Wahl war.« Er machte eine Pause. »Uns alle lässt er es spüren.«
    »Ist … er denn so arm ? «
    Henri seufzte.
    »Arm unter den Reichen. Er hat viel in einem Er b schaftsstreit mit meinem Onkel verloren. Meine Familie besitzt nur noch ein kleines Schloss in der Bretagne, e i nige Landgüter und Tuchwebereien, außerdem Äcker, auf denen Flachs und Hanf angebaut wird. Die Tücher für die Segelschiffe bringen gutes Geld.«
    »Nur ein kleines Schloss«, spottete Elin. »Und du bist nur ein armer Edelmann, der sich über Flachsanbau G e danken macht.«
    »Besser als über den Krieg nachzudenken«, gab Henri zurück. Er richtete sich halb auf und fuhr mit den Fingern die Linie ihres

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