Der Spinnenkrieg
»Ich wußte nicht, daß Sie uns so sehr fürchten. Hätte ich es geahnt, so hätte ich vielleicht …anders gehandelt.« »Sie – oder das Ding, das von Ihnen Besitz ergriffen hat?« stieß Hartmann beinahe haßerfüllt hervor. Der Ausdruck von Trauer in Kyles Augen vertiefte sich. »Ich verstehe Sie, Hartmann«, sagte er. »Sie haben uns zehn Jahre Ihres Lebens für Ihre Feinde gehalten. Sie haben uns bekämpft. Sie haben Männer losgeschickt, um uns zu vernichten. Und Sie haben gesehen, wie diese Männer nicht zurückkamen, sondern zu einem Teil unserer Gemeinschaft wurden. Ich kann Ihnen nicht verübeln, daß Sie uns hassen. Auch wenn es falsch ist.« »Da draußen tut sich etwas«, sagte Net. Hartmann blickte erschrocken zu ihr herauf, stand aber nicht auf, sondern wandte sich wieder an Kyle. »Wer sind diese Wesen?« fragte er. »Ich will es wissen! Jetzt!« »Um das zu verstehen«, antwortete Kyle, »müßten Sie das Wesen der Jared verstehen.« »Und das kann ich nicht, solange ich nicht selbst einer bin, wie?« höhnte Hartmann. Kyle nickte, dann sagte er ernst. »Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Ich …« Er zögerte. Wieder hatte Hartmann den sehr sicheren Eindruck, daß er verzweifelt nach Worten suchte, vielleicht um etwas zu erklären, was mit Worten nicht zu erklären war. Er konnte den Kampf, der sich hinter der Stirn des Megamanns abspielte, beinahe sehen. Und plötzlich begriff er eines ganz deutlich: Was immer Kyle auch geworden war, als er mit der mutierten Ameisenkönigin in Köln verschmolz – ein Teil von ihm war Mensch geblieben. Und es war dieser Teil, der ihn zögern ließ, ihm irgendeine überzeugend klingende Lüge, eine weitere Halbwahrheit zu präsentieren. Er wußte nur nicht, ob dieser Mensch gebliebene Teil von Kyle stark genug sein würde, daß er ihm trauen konnte. »Es … bewegt sich«, sagte Net nervös. Ihre Hand fingerte am Abzug des Gewehres herum. »Ich glaube, es … es geht.« Sie zögerte eine Sekunde, dann: »Könnte es … hierher kommen? Es hat Flügel.« »Das sind keine Flügel«, sagte Kyle, ohne daß er Hartmann aus den Augen ließ. Wieder an ihn gewandt, fuhr er fort: »Ich könnte Sie zwingen, zu tun, was ich von Ihnen verlange, Hartmann. Eine einzige Berührung, und Sie und Net würden alles tun, was ich will.« Er hob die Hand, und obwohl Hartmann die Bewegung vorausgeahnt hatte und ihr zuvorzukommen versuchte, war er nicht schnell genug. Kyles Fingerspitzen berührten flüchtig seinen Arm, und im gleichen Moment schien etwas wie eine schwarze Woge über Hartmanns Geist hereinzubrechen und ihn zu verschlingen. Es war wie eine Springflut, die eine Kerzenflamme auslöschte. Hartmanns Wille wurde niedergeworfen und zermalmt; etwas ungeheuer Starkes hing plötzlich über ihm wie die Schuhsohle eines Riesen, der sich anschickte, einen Käfer zu zertreten, der auf dem Rücken lag und hilflos mit den Beinen strampelte. Und plötzlich sah Hartmann noch einmal in aller Deutlichkeit, was mit den Ameisensoldaten in der schwarzen Festung geschehen war. Aber der zermalmende Tritt, auf den er wartete, kam nicht. Nach einer endlos andauernden Sekunde zog Kyle die Hand wieder zurück, und im gleichen Moment verschwand der schwarze Sog aus Hartmanns Kopf. Mit einem erschrockenen Keuchen prallte er zurück und preßte die Hand, die Kyle berührt hatte, an sich, als hätte er sich verbrannt. »Ich könnte es tun«, sagte Kyle noch einmal. »Aber ich werde es nicht. Ich wollte nur, daß Sie das wissen, Hartmann.« »Wie großzügig!« spottete Hartmann. Aber der Hohn in seiner Stimme klang nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend. Entsetzt starrte er Kyle an. Seine Angst vor dem Megamann war nicht schlimmer oder schwächer geworden, aber sie schien mit einem Mal eine andere Qualität bekommen zu haben. Er zitterte am ganzen Leib. »Was muß ich noch tun, damit Sie mir vertrauen?« fragte Kyle leise. Ohne daß er in der Lage gewesen wäre, die Bewegung zu verhindern, wich Hartmann zwei Schritte von Kyle zurück. Der Ausdruck von Trauer im Blick des Jared nahm noch einmal zu. Er schien zu begreifen, daß er einen Fehler gemacht hatte. »Wer sind Sie, Kyle?« fragte Hartmann leise. »Was sind die Jared? Was sind sie wirklich!« Und Kyle sagte es ihm.
*
Sie hatte es niemals zugegeben, aber im Grunde war Charity fast froh, daß Skudder und sie nach ihrem Erwachen nicht einfach ihre Zimmer verlassen hatten und in den Bunker
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